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Lebensmut aus dem Arztkoffer

Freitag, 7. März 2008

Eine Berliner Ärztin betreut seit mehr als 15 Jahren Obdachlose – oft auf eigene Kosten

Einige Kollegen nennen sie Nestbeschmutzerin, doch Barbara Weichler-Wolfgramm lässt sich davon auch nach der Pensionierung nicht bremsen.

BERLIN Wenn es gar nicht mehr geht, fängt Barbara Weichler-Wolfgramm an zu schreiben. Über die Fälle, die sie zu sehr mitnehmen, wie den Punk, der einen Schlaganfall erlitt. Mit 21 Jahren – wegen Drogen und wegen Alkohols. Die Ärztin brachte ihn in eine Therapie, und als er nach einiger Zeit wieder gehen und sprechen konnte, war er im Nu wieder auf der Straße, trank wieder, nahm wieder Drogen. „Das war sein Leben, und die anderen dort waren seine Familie“, sagt sie resigniert. Gut 20 Geschichten sind zusammengekommen, in ihrem „Totenbuch“. Irgendwann will sie ein richtiges Buch daraus machen, es veröffentlichen, aber das wird noch Jahre dauern. Bisher fühlt sich Barbara Weichler-Wolfgramm nicht einmal in der Lage, die Geschichten auch nur erneut zu lesen.
Unlängst hat sie das Bundesverdienstkreuz bekommen – weil sie sich seit gut 15 Jahren ehrenamtlich um Obdachlose, Punks und Straßenkinder in Berlin kümmert, sie untersucht und versorgt.
Es begann 1992: Barbara Weichler-Wolfgramm hatte die Vertretungsarbeit satt, und in einer Praxisbeteiligung am Kurfürstendamm fühlte sie sich nicht gebraucht. Sie wollte die gesellschaftliche Veränderung im Osten hautnah miterleben, also ließ sie sich im Friedrichshain nieder. Viele Patienten kamen aus der Hausbesetzerszene, die meisten stammten aus Osteuropa und waren illegal in Deutschland. Schnell sprach sich herum, dass da eine Ärztin ist, die kostenlos behandelt und niemanden meldet. Wegen dieses Rufs fragte die Caritas, ob sie im Arztbus Obdachlose versorgen wolle. Sie wollte – zweimal pro Woche fuhr Weichler-Wolfgramm mit. Und weil auch das noch nicht genügte, ging sie mit ihrem Arztkoffer zu den Punks – auf den Alexanderplatz oder wo immer sie gerade gebraucht wurde. In der Berliner Stadtmission baute die Ärztin seit 1996 auch noch die Krankenstation auf. „Das waren harte Jahre“, sagt sie heute, „aber auch sehr schöne“.
Mittlerweile ist Weichler-Wolfgramm in Rente. Zumindest formal, denn viele Patienten verarztet sie immer noch, auch in der Krankenstation ist sie mindestens zweimal pro Woche, obwohl sie dafür von ihrem neuen Wohnort Halle anreisen muss. Frei von äußeren Zwängen Medizin machen zu können, ohne das „Damoklesschwert des Punktsystems und der Abrechnungen“ über sich zu spüren, sei ein riesiger Luxus, betont sie.
Die Probleme ihrer Klientel sind stets die gleichen: Verdauungs- und Stoffwechselstörungen durch Alkohol und Drogensucht, Lungenkrankheiten und Bronchitis von der Kälte im Winter, Hautkrankheiten wie Krätze sowie Läuse und Flöhe wegen mangelnder Hygiene. Und es ist eine störrische, eigenwillige Kundschaft, die nicht selten Probleme mit Autorität hat. Für Weichler-Wolfgramm ist das kein Problem. Sie lässt sich von allen duzen, wird aber auch mal laut, wenn nötig. Das kommt nicht immer gut an, wovon einige derbe Verwünschungen auf ihrer Tür in der Krankenstation zeugen, doch ihre Patienten vertrauen ihr und schätzen die Begegnung auf Augenhöhe. Viele kommen wieder.
Vielleicht weil sie spüren, dass auch die Ärztin keine Freundin von Autoritäten ist – ganz besonders, wenn Autoritäten ihrem Engagement Steine in den Weg legen. Als die Caritas die Haltestellen des Obdachlosenbusses zu sehr einschränkte, nahm Weichler-Wolfgramm ihren Hut. Dass einige Bezirksämter sich noch immer weigern, die Kosten für Behandlungen von Obdachlosen zu übernehmen, macht sie wütend. Punks hingegen bewundert sie für ihre Freiheit und schätzt deren klare Kommunikation: „Wenn die mies drauf sind, lassen sie es dich spüren.“ Gegenüber den Alternativen – „dem Gefängnis Hartz IV und dem Gefängnis der Vereinsamung“ – empfindet Weichler-Wolfgramm Punks und Obdachlose geradezu als frei. Doch sie neigt nicht zur sozialromantischen Verklärung: „Obdachlosigkeit in Deutschland und speziell in Berlin ist eine selbstgewählte Härte. Es gibt Angebote en masse, die Versorgung ist sehr gut.“
1946 geboren, wächst Barbara Weichler-Wolfgramm in Hamburg auf, später in Berlin. Nach dem Abitur auf dem zweiten Bildungsweg studiert sie zunächst „aus Verlegenheit“ Soziologie, weil der Numerus Clausus für Medizin sie in die Warteschleife drängt. Doch was sie anpackt, bringt sie nach Möglichkeit auch zu Ende, und so ist Weichler-Wolfgramm Diplom-Soziologin, bevor sie sich für Medizin einschreibt. Die Sichtweise, die durch das Erststudium geprägt wurde, habe ihr später sehr geholfen, sagt sie, auch wenn sich die Arbeit mit Obdachlosen, in die sie nach eigenem Bekunden „so reinschlitterte“, da noch längst nicht abzeichnete.
85 Euro kostet ein Tag in der Krankenstation der Stadtmission, und das sind nur die Kosten der Unterbringung. Die medizinische Versorgung finanziert Barbara Weichler-Wolfgramm aus eigener Tasche. Wenn es gelingt, die Patienten zu versichern, kann sie sich das Geld von der Krankenkasse zurückholen. Was auf diese Weise hereinkommt, decke lediglich ihre Kosten, sagt sie. Viel bedrohlicher aber erscheint ihr die „überbordende Bürokratie im Gesundheitswesen und die Gefahr, dass der Patient an letzter Stelle landet“.
Am Schlimmsten sei es, wenn ein Patient noch medizinischer Hilfe bedarf, aber auf die Straße gesetzt wird, weil die Kosten nicht geklärt sind. Das gebe es auch in der Stadtmission. Dann würde Weichler-Wolfgramm sich am liebsten wieder ihren Arztkoffer schnappen und auf die Straße rausgehen.
Gegen dieses Denken nützt auch ihr Bundesverdienstkreuz wenig. Sie hat lange überlegt, es anzunehmen. Dass es ihr von der Berliner Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner von der Linkspartei überreicht werden sollte, hat sie schließlich überzeugt – und der Umstand, dass sie damit jene Ärztekollegen ärgern konnte, die eine kostenlose Behandlung von Obdachlosen als Nestbeschmutzung bezeichnen.
Wenn unter ihrer Behandlung jemand neuen Lebensmut schöpft, wenn er mehr auf sich achtet, ist das Weichler-Wolfgramms größter Erfolg. Der Regelfall ist das nicht. „Wenn jemandem völlig egal ist, was er seinem Körper antut, steckt dahinter immer eine tiefe Depression“, sagt Barbara Weichler-Wolfgramm über die seelischen Härten ihrer Arbeit. Diese Depression macht mitunter auch vor ihr selbst nicht halt. „Manchmal ist es bitter, nicht helfen zu können.“ Gegen diese Bitterkeit rennt sie mit ihrem Arztkoffer an – jeden Tag aufs Neue.

Erschienen am 07.03.2008

Ein bisschen anachronistisch

Samstag, 9. Februar 2008

Nostalgie: Der ehemalige „Chor der Parteiveteranen“ hat die Wende überlebt und so manchem Mitglied das Weltbild gerettet

Sie sind im Durchschnitt 72 Jahre alt, und sie proben im Sitzen – doch die Stimmen des einstigen Parteichors sind noch ungebrochen.

BERLIN Beim 60. Jahrestag der Gründung der DDR-Grenztruppen haben sie auch gesungen. Die liebevoll geführte Chronik vermerkt es genau: Es war am 1. Dezember 2006 in Strausberg (Märkisch-Oderland). Der ehemalige DDR-Verteidigungsminister Heinz Keßler war dabei und andere ranghohe Ex-NVA-Leute. Der Ernst-Busch-Chor sang das „Einheitsfrontlied“ von Brecht. „Bisschen anachronistisch“ findet Jochen Fischer das beim Durchblättern der Chronik, und auch historisch nicht korrekt: 1946 gab es die DDR noch nicht. Aber Fischer ist ja auch nur hier, weil er jeden Dienstag seine Frau zur Chorprobe bringt, wie er betont.
Die probt mit etwa 50 anderen Mitgliedern des Ernst-Busch-Chors im Kulturhaus Berlin-Karlshorst gerade einen russischen Walzer. Gäbe es hier nicht modernes Mobiliar, man könnte glauben, es habe die Wende nie gegeben. Das ist den meisten Chormitgliedern durchaus willkommen. Schließlich hieß das Ensemble bis zur Wende „Chor der Parteiveteranen der SED“ und unterstand direkt der SED-Bezirksleitung. Um Mitglied zu werden, bedurfte es 25-jähriger Parteimitgliedschaft, davon mindestens 15 Jahre als Funktionär.
Dass der Chor die Wende überhaupt überlebte, verdankt er vornehmlich Rolf Stöckigt. Der frühere Professor für die Geschichte der Arbeiterbewegung kam 1987 mit seiner Pensionierung zum Ensemble und freute sich auf einen ruhigen Lebensabend. Der November 1989 machte einen Strich durch diese Rechnung: Stöckigt wurde Vorsitzender und musste die Sänger durch die Wendewirren dirigieren. „Der alte Vorstand tat sich schwer, die waren ohne Anleitung durch die SED völlig hilflos“, erinnert er sich. Gegen einige Widerstände boxte Stöckigt, der noch heute im Vorstand wegen seiner liberalen Haltungen kritisiert wird, die neue Satzung durch: Die parteipolitische Unabhängigkeit sicherte das Überleben des Chores. Auch im Repertoire räumte er auf: „,Die Partei, die Partei, die hat immer recht’, das haben wir ersatzlos gestrichen. Stattdessen singen wir jetzt ,Die Gedanken sind frei’“, sagt der 86-Jährige. Seit dem Jahreswechsel ist Rolf Stöckigt kein aktiver Sänger mehr. Nicht, weil die Stimme nicht mehr mitspielt, sondern weil ihn seine Beine nicht mehr lange genug tragen. Er ist mit diesem Problem nicht allein: Der Chor probt im Sitzen, das älteste Mitglied ist 99, das jüngste 60 Jahre alt, das Durchschnittsalter liegt bei 72. Chorleiter Klaus Hartke, der früher beim Ernst-Weinert-Ensemble, der „Musiktruppe der NVA“ arbeitete, sagt, er müsse neue Lieder abschleifen, ihnen die Höhen und Tiefen nehmen, weil die alternden Stimmen mit dem Neuen nicht so gut zurechtkommen. „An der Stimmgewalt mangelt es aber nicht, die muss ich eher bremsen.“ Das 250 Lieder starke Repertoire hat er behutsam erweitert. Neben die Kernkompetenz der Arbeiterlieder – am liebsten von Hanns Eisler – sind Volkslieder und klassische Chöre getreten, sogar das eine oder andere Kirchenlied hat sich eingeschlichen. „Das Publikum soll ja bedient werden“, sagt Hartke, als wolle er sich entschuldigen. Die Parteilieder der SED probt er hingegen nicht mehr, „das wäre irreal“, auch nicht die Grenzerlieder aus seiner Zeit als Oberst der Nationalen Volksarmee,, „obwohl einige davon sehr schön sind“, wie er betont.
Rolf Stöckigt mag keine Interviews. Die zahlreichen Journalisten, die immer noch anfragen, kommen meist nur, um sich lustig zu machen über die ewig Gestrigen. „Die wollen gar nicht wahrhaben, dass wir nur noch ein antifaschistischer Chor sind, der Wert legt auf seine Tradition aus der Arbeiterbewegung.“ Dass es je ein Arbeiterchor war, darf aber bezweifelt werden: Auf der Mitgliederliste stehen ein Ex-General beim Wachbataillon, Offiziere, Ex-Generaldirektoren von Kombinaten und Wissenschaftler.
Seiner Linie ist der Chor treu geblieben. Neben etwa 25 Konzerten pro Jahr vermerkt die Chronik, die stets ein bisschen an Wandzeitung erinnert, auch Spendensammlungen für Kuba, eine Grußnote an Täve Schur zum 75., das „Lob des Revolutionärs Ernst Thälmann“ und die Forderung, das KPD-Verbot aufzuheben.
Immer häufiger sind auch Traueranzeigen ehemaliger Mitglieder eingeklebt und Fotos vom Singen an deren Gräbern. Während sie vorn „Conquest of paradise“ proben, erzählt Rolf Stöckigt, dass einige Mitglieder in Chorkleidung beerdigt werden möchten. In einer Uniform, die sie mit den Genossen verbindet, die noch immer, wenn nicht gar stärker als zu DDR-Zeiten, zusammenhalten. Genossen, die eine Welt pflegen, die nur noch in ihren kollektiven Erinnerungen und den Liedern besteht. Sie haben ihr Paradies nach der Wende nicht erobert – aber verteidigt.

Info-Box: ERNST-BUSCH-CHOR
Der „Chor der Parteiveteranen der SED“ wurde 1972 gegründet. Er entstand im Rahmen der Singebewegung.
Die SED fand schnell Gefallen an dem Ensemble, unterstützte es finanziell und unterstellte den Chor schließlich der Bezirksleitung in Berlin.
1983 benannte sich der Chor nach dem Schauspieler, Regisseur und Sänger Ernst Busch, der unter anderem durch seine Interpretationen von Arbeiterliedern Ruhm erntete.
Busch zu Ehren gibt der Chor noch heute jährlich ein großes Konzert an oder um Buschs Geburtstag, dem 22. Januar.
Rund 4000 Menschen hören den Chor jährlich – bei fünf eigenen Konzerten und zahlreichen Gastauftritten, etwa dem Pressefest des „Neuen Deutschland“.
2008 erscheint die dritte CD des Chors.

Erschienen am 09.02.2008

Freibier statt Wegzugsprämien

Freitag, 8. Februar 2008

Aschermittwoch: Linkspartei und SPD dienen der CDU als Zielscheiben / Hilke und Pflüger geben sich angriffslustig

Rund 900 Gäste kamen zum politischen Kehraus der CDU nach Doberlug-Kirchhain. Es war der erste mit Ulrich Junghanns als Hauptredner.

DOBERLUG-KIRCHHAIN Der Mann von der CDU-Ortsgruppe Elsterland nimmt gleich drei Freibier, denn er will auf Nummer sicher gehen, was einen unterhaltsamen Abend angeht: „Beim Schönbohm“, sagt er entschuldigend, „war’s immer amüsant. Der Uli ist zwar ein guter Mann, aber kein Gute-Laune-Drops.“ Dass viele Parteimitglieder diese Auffassung über ihren Vorsitzenden Ulrich Junghanns teilen, muss bezweifelt werden: Von Beginn an ist die Stadthalle in Doberlug-Kirchhain (Elbe–Elster) gut gefüllt. Mit 500 Gästen hat die CDU gerechnet, fast 900 sind gekommen. Vielleicht ist es Neugier darauf, wie sich Junghanns bei seinem Aschermittwochs-Debüt schlägt, vielleicht ist die Lust auf zünftige Generalabrechnung bei Bier, Brezeln und Blasmusik auch nach einer Zwangspause im Vorjahr gewachsen: Infolge der E-Mail-Affäre fiel der Politische Aschermittwoch der märkischen CDU 2007 aus.
Zunächst stürmt Generalsekretär Rolf Hilke für ein zehnminütiges Grußwort auf die Bühne – und sichert sich sogleich Aufmerksamkeit: „Die SPD plant eine Einöde im Süden Brandenburgs, sie will ihn verwildern lassen“, ruft er. „Doch bei der CDU gibt’s keine Wegzugsprämie, sondern Freibier fürs Kommen.“ Hoppla, da reiben sich einige im Saal die Augen. Das geht ja munter los. Und Hilke legt nach: „Die Linke im Land schnürt munter Wünsch-Dir-was-Pakete, und die SPD rennt blind hinterher. Doch egal, wie schnell sie läuft, die Linke ist immer schon da.“ Da hat Hilke einen Rat für den Koalitionspartner: „Wer sich parfümiert neben einen Misthaufen stellt, lässt den nicht besser riechen. Er fängt nur selbst an zu stinken!“ So geht es weiter. Applaus im Saal, Erstaunen, Begeisterung. „Das waren die längsten zehn Minuten des heutigen Abends“, sagt der Moderator, denn Hilke hat sich 20 Minuten lang in Form geredet. Was der Moderator nicht wissen kann: Unterhaltsamer wird es nicht mehr.
Ulrich Junghanns gibt sich aber redlich Mühe. Der Satz „Es gibt viele Themen, die man ansprechen müsste“, gehört dennoch nicht zu den eindrucksvollsten Eröffnungen. Dann ist er erstmal bei der Lage in Hessen, bevor er zur märkischen SPD kommt: Ihr hält Junghanns vor, derzeit Eintrittskarten für die nächste Regierungskoalition zu verteilen: „Mindestens der Mindestlohn ist offenbar gefordert“, ruft er und warnt vor Rot-Rot in der Mark. Zur Situation in seiner Partei sagt Junghanns, „in der Brandenburger CDU unter Prinz Ulrich kann man sich wohlfühlen“. Falls das Ironie war angesichts des Machtkampfes mit Ex-Generalsekretär Sven Petke, lässt er es sich nicht anmerken. Am Schluss versucht Junghanns dann noch einen Witz über dicke Märker. Niemand lacht. „Das mit den Scherzen, das sollte er lassen“, diagnostiziert der Mann aus dem Elsterland trocken über seinen leeren Biergläsern. Ganz anders Berlins CDU-Fraktions chef Friedbert Pflüger. Der kommt zwar deutlich zu spät aus Köln – die Band spielte, um die Zeit zu dehnen, schon den „Holzmichl“ – steht aber ab dem ersten Wort auf dem Gaspedal. „Seien Sie stolz auf Ulrich Junghanns. Er ist der erfolgreichste Wirtschaftsminister der neuen Länder. Brandenburg hat mehr Wachstum als Berlin“, ruft er. Jubel. „Berlin und Brandenburg gehören zusammen!“ Tosender Applaus. Als er ein „tugendhaftes, bescheidenes Preußen“ beschwört, das Werte wie „Anstand, Ehre und Pünktlichkeit“ zu schätzen wisse, gibt es stehende Ovationen. Dass Pflüger die Gäste warten ließ, ist vergessen. „Das Land sollte von niemandem regiert werden, der diese Tugenden als Sekundärtugenden disqualifiziert, als Tugenden, mit denen man auch ein KZ führen könnte“, ruft Pflüger, mittlerweile seines Jackets entledigt, in Anspielung auf ein uraltes Oskar-Lafontaine-Zitat. Zum Schluss kommt er noch zu seinem Lieblingsthema: dem Weiterbetrieb des Flughafens Tempfelhof. „Ich danke Uli Junghanns, Sven Petke und Jörg Schönböhm, dass sie sagen, wir brauchen Tempelhof weiterhin“, ruft er. „ Tempelhof gefährdet Schönefeld nicht. Das steht weder im Grundgesetz noch in den zehn Geboten.“

Erschienen am 08.02.2008

Beste Noten für Gransee

Dienstag, 5. Februar 2008

Zeugnisse: Schüler geben im Internet Zensuren / Beliebtester Lehrer lehrt in Strausberg

STRAUSBERG/GRANSEE Es ist ein Halbjahres-Zeugnis, auf das Achims Eltern stolz sein können: Acht Einsen und zwei Zweien weisen den Strausberger (Märkisch-Oderland) als Musterschüler aus – Gesamtnote: 1,3. Beliebt ist er, cool und witzig, stets kompetent, fair, gut vorbereitet, beliebt und menschlich. Dass sein Zeugnis so gut geworden ist, hat Achim allerdings erst von Journalisten erfahren, die ihn anriefen und eine Reaktion erwarteten. Das mag daran liegen, dass Achim, der mit vollem Namen Hans-Joachim Baumert heißt und zudem einen Doktortitel trägt, gewohnt ist, Noten zu vergeben statt zu empfangen. Er ist Lehrer für Kunst, Geschichte und Lebenskunde-Ethik-Religion (LER) an zwei Strausberger Schulen: dem Theodor-Fontane-Gymnasium und der Anne-Frank-Oberschule. Und er ist Brandenburgs beliebtester Lehrer – zumindest wenn es nach dem Schülervotum geht, das 42 Jungen und Mädchen auf dem Internetportal „SpickMich.de“ hinterlassen haben. Dort dürfen seit einiger Zeit Schüler Noten für ihre Lehrer vergeben.
Regelmäßig zur Zeugnisausgabe ruft „SpickMich.de“ die rund 500 000 Schüler, die auf dem Portal angemeldet sind, zur Benotung auf. So lassen sich nicht nur die beliebtesten Lehrer, sondern auch die beliebtesten Schulen ermitteln. In Brandenburg führt das Strittmatter-Gymnasium in Gransee (Oberhavel) die Rangliste mit einer Gesamtnote von 2,2 an. Die besten Zensuren gab es für das moderne Schulgebäude (1,7), die Stimmung unter den Mitschülern und die Schulleitung (je 1,9), kritischer wurden hingegen die Mitbestimmungsmöglichkeiten (3,0) eingeschätzt. Schulleiter Uwe Zietmann bekannte, sich „erstmal gefreut“ zu haben, räumte aber Schwierigkeiten bei der Einordnung des Ergebnisses ein. „Es ist eine interessante Rückmeldung, die wir aber mit aller Vorsicht genießen“, sagte er.
„Lehrer verteilen täglich Noten. Es ist immer wieder erstaunlich, wie empfindlich manche sind, wenn sie selbst bewertet werden“, sagt Bernd Dicks von „SpickMich.de“. Einige Schulen hätten bereits mit Verweisen, Geldstrafen und der Polizei gedroht, falls Schüler an der Online-Bewertung teilnehmen. Durchsetzen können sie das nicht: Die Stimmabgabe im Internet ist anonym. Brandenburgs Lehrer haben ohnehin wenig Grund zur Klage: Mit einem Gesamtnotendurchschnitt von 2,6 liegen sie deutlich über dem Bundesdurchschnitt.

INTERVIEW „Ein Wahnsinnsdurchschnitt“
Achim Baumert ist Brandenburgs beliebtester Lehrer. Mit ihm sprach Jan Bosschaart .

MAZ: Hat das Zeugnis einen Ehrenplatz bekommen?
Achim Baumert: Ich habe es noch gar nicht bekommen, es ist noch unterwegs.

Wie war Ihre erste Reaktion?
Baumert: Wenig überraschend: Ich habe mich sehr gefreut! Ist doch ein Wahnsinnsdurchschnitt, den ich erreicht habe. (lacht)

Welche Noten freuen Sie besonders?
Baumert: Die Einser in Fachkompetenz und Menschlichkeit. Und dass ich für witzig gehalten werde, denn das entspricht meinem Naturell.

Die Lehrerbewertung sehen viele kritisch – Sie auch?
Baumert: Nach diesem Ergebnis – wohl kaum. Es ist nur fair, wenn die Schüler sich auch artikulieren dürfen.

Erschienen am 05.02.2008

„Wie früher!“

Montag, 14. Januar 2008

Jahrestag: Zehntausende gedachten in Berlin Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs

BERLIN Hilde Ketter ist vorbereitet. Dick angezogen und zusätzlich von einer Decke gewärmt, sitzt die 72-Jährige kurz nach 9 Uhr am Sonntagmorgen auf dem Balkon ihrer Wohnung in der Frankfurter Allee, auf dem Schemel neben sich ein kleines Fernglas und eine Thermoskanne mit frischem Kaffee. Unter ihr, ein Stück die Allee hinab, sammeln sich etwa 50 linke Gruppen zum alljährlichen Gedenkmarsch anlässlich des Jahrestages der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Mit Trommeln, Trillerpfeifen und Parolen vertreiben sie die Kälte, allgegenwärtige Polizisten kontrollieren jeden Neuankömmling auf Waffen und Wurfgegenstände, und die Demonstrationsleitung erinnert per Megaphon an die Regeln: Keine Stahlkappenschuhe, schön zusammenbleiben und Transparente stets in Laufrichtung halten, nicht zur Seite. „Von mir aus kann’s losgehen“, sagt Frau Ketter, die bereits bei der zweiten Tasse Kaffee angekommen ist und langsam ungeduldig wird. Die Kälte kriecht selbst unter die Decke.
Doch unten schert man sich nicht um die Wünsche der älteren Dame, die „aus Nostalgie“ jedes Jahr den Gedenkmarsch zu Ehren der 1919 von rechten Freikorps ermordeten Arbeiterführern beobachtet. Mit „den Sozen“ habe sie zwar „nichts am Hut“, sagt sie, doch „den Aufmarsch“ schaue sie gern an. „Auch wenn früher viel mehr los war“, fügt sie enttäuscht hinzu. Zu DDR-Zeiten organisierte Politbüro das Gedenken an „Karl und Rosa“, Hunderttausende zogen damals zur „Gedenkstätte der Sozialisten“ auf dem Friedhof Friedrichsfelde. An diesem Sonntag sind es immerhin 3400 Demonstranten, die sich in den Zug einreihen, der „mit kommunistischer Pünktlichkeit“, wie der Sprecher betont, um exakt 10 Uhr startet.
Zwei Punkte sind es, die den Umzug in diesem Jahr herausheben: Zum einen haben rechte Gruppen Krawall angedroht, weshalb die Demonstrationsleitung ein wenig nervös wirkt, zum anderen ist es 20 Jahre her, dass eine kleine Gruppe Dissidenten 1988 auf der Demonstration mit einem Rosa-Luxemburg-Plakat für Meinungsfreiheit warb: „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“ stand darauf, es war nur kurz zu sehen, bevor Sicherheitskräfte das unterbanden, sorgte aber für Wirbel in westdeutschen Medien. Beide Punkte spielen an diesem Sonntag jedoch keine große Rolle: Von Rechten ist weit und breit nichts zu sehen, wohl auch wegen der massiven Polizeipräsenz, und weil eine NPD–Gegendemonstration verboten wurde. Und an die Dissidenten erinnert niemand öffentlich. Die Linkspartei nimmt ohnehin nicht am Umzug der tendenziell sehr linken Gruppen teil, sondern beschränkt sich auf stilles Gedenken und eine Kranzniederlegung, an der unter anderem Parteivorsitzender Lothar Bisky, Fraktions chef Gregor Gysi und Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau teilnahmen. Auch viele Nichtparteigänger kommen an diesem Tag zum Ehrenmal, die meisten mit einer roten Nelke in der Hand. Die Veranstaltungsleitung spricht von etwa 70 000 Besuchern.
Als der Demonstrationszug endlich unter ihrem Balkon vorbeikommt, hellt sich auch Hilde Ketters vor Kälte gerötetes Gesicht auf: Sie hat eine DDR- und eine FDJ-Fahne in der Menge ausgemacht. Als der Zug auch noch die „Internationale“ anstimmt, huscht ein Lächeln über ihr Gesicht: „Wie früher!“ sagt sie.

Erschienen am 14.01.2008

Lauwarmer Entzug

Donnerstag, 3. Januar 2008

Nichtraucherschutz: Seit Neujahr gilt das Rauchverbot in Gaststätten, aber nicht jeder hält sich daran

Seit drei Tagen ist die Zigarette im Lokal verboten. Die Gastwirte reagieren mit kaltem Entzug, langsamer Entwöhnung – und strikter Verweigerung.

POTSDAM Richard Putters Welt ist in der Silvesternacht ein kleines Stück heller geworden. Der 33-Jährige, der sich selbst als Gourmet, als Wein- und Kaffeekenner bezeichnet, geht seither mit weniger Vorbehalten in Restaurants und Cafés. „Ich habe nie verstanden, wie man in nikotingetränkter, rauchverpesteter Luft Genuss erleben soll“, sagt der Potsdamer und wedelt imaginäre Rauchschwaden weg. Die Geste ist überflüssig: Im Spezialitätenkaffee in den Potsdamer Bahnhofspassagen, wo Putter seinen Latte Macchiato schlürft, sind die Aschenbecher seit dem 1. Januar abgeschafft worden. Und Putter ist nicht der einzige, den das freut. „Einige Gäste sind froh, jetzt überall sitzen zu können, nicht nur in der Nichtraucherecke“, sagt Filialleiterin Yvonne Sprenger. Einige, aber nicht alle: Fünf Gäste machten auf der Schwelle kehrt, als sie vom kategorischen Rauchverbot im Café erfuhren, zwei weitere haben diskutiert, letztlich aber doch einen Kaffee bestellt.
So rigoros wie dort verfuhr man nicht überall: Die meisten Lokale ließen ihre Gäste in der Silvesternacht auch nach 0 Uhr weiterrauchen. „Aschenbecher einsammeln wäre uns zu albern gewesen“, sagt Bob Demtröder vom Potsdamer Alex-Restaurant. Doch auch bei ihm gilt seit Dienstagmittag: Wer seine Zigarette braucht, muss vor die Tür. Dort stehen Wärmedecken und Heizpilze bereit. Weil einige Kunden ihrem Unmut lautstark Luft machten, wird das Alex künftig bis zum frühen Abend auch das Rauchen zumindest an der Theke wieder erlauben – zu viele drohten, nicht wiederzukommen. Das aber kann nur eine Übergangslösung sein: Spätestens zum 30. Juni ist auch damit Schluss, denn dann werden die im Nichtraucherschutzgesetz bislang nur angedrohten Bußgelder auch erhoben: 100 Euro für rauchende Gäste und 1000 Euro für Wirte, die das nicht unterbinden. Bis dahin kocht jeder sein eigenes Süppchen: Vom rigorosen Entsorgen aller Aschenbecher über die Auslagerung rauchender Gäste in den Raucherraum bis zur maximalen Ausnutzung der Übergangsphase – oder durch radikale Verweigerung. Dabei ist eine Zweiteilung zu beobachten: Während die gehobenen Restaurants und Hotels seit dem Neujahrstag den Tabakqualm aus ihren Räumen verbannt haben, weigern sich die Eckkneipen und Bars noch.
So wie Ulrich „Uli“ Kasiske. Kasiske ist Kneipier in Berlin-Friedrichshain und ein erbitterter Gegner des neuen Gesetzes. Gemeinsam mit zwei Stammgästen hat er die „Initiative für Genuss Berlin“ gegründet, die in der Hauptstadt fleißig Unterschriften gegen das Gesetz sammelt. 20 000 benötigt sie in einer ersten Stufe, rund 6000 hat Kasiske schon zusammen. „Bei mir rauchen 95 Prozent der Gäste“, sagt er, „ich will ja nur, dass jeder Wirt selbst entscheiden darf.“ Mit seiner Initiative und mit der Ankündigung, in ein noch einzurichtendes Raucherzimmer seiner Kneipe einen Tunnel einzubauen, damit Nichtraucher nikotinfrei zu den Toiletten gelangen, hat er es in diesen Tagen bereits zu einiger Presseberühmtheit gebracht.
Am Tag zwei der rauchfreien Gaststätten formierte sich auch der Widerstand. Nicht jeder ging dabei so weit wie jener Gast eines Restaurants auf der Nordseeinsel Wangerooge, der aus Wut über das Rauchverbot auf den Wirt mit einer Bierflasche einprügelte: Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband Dehoga etwa beschränkte sich darauf, seine Kritik an den Gesetzen zu erneuern. Bereits kurz vor Weihnachten strengte der Verband eine Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht an, um vor allem die Eckkneipen zu schützen. Bayerische Wirte, die dem strengsten Gesetz ausgesetzt sind, erklärten gestern, sie planten zudem eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe, und die Internetseite „Zigarrenplattform.de“ rief „alle Tabakgenießer und politisch wachen Nichtraucher“ auf, „die Ausbreitung einer Verbotskultur in Deutschland zu bekämpfen!“. Aus einer anderen Richtung kam Kritik von der brandenburgischen Bundestagsabgeordneten Petra Bierwirth (SPD), die Chefin des Umweltausschusses ist: Sie forderte einen Verzicht auf Heizpilze, die Wirte vor ihren Lokalen aufstellen, um rauchende Gäste nicht in der Kälte stehen zu lassen. Die Geräte führten zu einem enormen CO2-Ausstoß.
Auch in Frankreich und Portugal gelten seit dem 1. Januar Rauchverbote in Lokalen. Das fiel vor allem Antonio Nunes auf die Füße: Der Chef der für das portugiesische Nichtraucherschutzgesetz zuständigen Behörde wurde in der Silvesternacht von einer Tageszeitung rauchend in einem Lissabonner Kasino ertappt. Ihm sei nicht bewusst gewesen, dass das Gesetz auch Kasinos einschließe, gab er zu Protokoll und will nochmal nachlesen.

Erschienen am 03.01.2008

Pasta-Dreiklang am Brauhausberg

Samstag, 22. Dezember 2007

Comeniusschüler wurden verpflegt

TEMPLINER VORSTADT Exner käste nach. Viel mehr blieb dem Bürgermeister und Finanzbeigeordneten gestern in der Comenius-Schule nicht übrig, obschon auf der Einladung „Kochen mit Burkhard Exner“ stand. Doch das Essen wurde nahezu fertig angeliefert, und Exner, der im Rathaus dem Bereich „Zentrale Steuerung“ vorsitzt, konnte einzg für die Zentrale Streuung von Parmesan auf Pasta sorgen. So sah er sich gezwungen, sich einzuschränken: Er lächelte freundlich unter seiner Kochmütze hervor und löffelte Käse über die Nudelgerichte. Das allerdings tat er mit Charme und Grandezza.
Die viel drängendere Frage, ob in dem stets akkuraten Anzug möglicherweise ein begnadeter Hobbykoch steckt oder sich des Beigeordneten gastronomische Fähigkeiten im Streuen von Käse erschöpfen, musste daher zunächst unbeantwortet bleiben. Thomas Prange, Regionaldirektor bei Mövenpick – das Unternehmen hatte das opulente Mittagsmahl für die Förderschüle gespendet – hatte dazu einen pragmatischen Zugang: „Wir bringen noch jeden zum Kochen“, sagte er mit Blick auf seinen Helfer aus dem Rathaus, der zu diesem Zeitpunkt aber schon wieder den Förderschülern die ewig gleiche Frage „Tomatensoße, Schinken-Sahne oder Putengeschnetzeltes?“ stellte – dies war der kulinarische Dreiklang, mit dem Mövenpick die gut 100 Schüler plus Lehrer und technisches Personal versorgte. Zum Dank sangen die Jungen und Mädchen nicht nur Weihnachtslieder, einige kamen auch persönlich, um Hände zu schütteln und zu bekunden, wie toll es geschmeckt habe. Gut möglich also, dass der Beigeordnete im kommenden Jahr wieder zum traditionellen Weihnachtsessen gerufen wird – und dann selbst die Kelle schwingt.

Erschienen am 22.12.2007

Harte Zeiten für den Weihnachtsmann

Dienstag, 18. Dezember 2007

Bescherung für schwierige Kinder

INNENSTADT Aufsagen mag Angelo nichts, singen auch nicht, und das Bedanken ist seine Sache nicht. Das Geschenk nimmt er aber gern, er trägt es stolz zu seinem Platz, selbst der Inhalt scheint ihm zu behagen: die Augen leuchten. Das muss genügen: Dem Kakao und dem Stollen sprechen die 16 Kinder im weihnachtlich geschmückten Speisesaal des Steigenberger-Hotels Sanssouci ordentlich zu, mit einem „Danke!“ der Kinder dürfen Marketingdirektorin Manuela Völske und ihre Helferinnen aber nicht rechnen. Das übernehmen die Betreuer – wie Christian Groß, Leiter der Tagesgruppe der Awo: „Die Kinder kommen aus schwierigen Familien, die meisten haben eine traumatische Vorgeschichte und Verhaltensstörungen. Viele waren im Hort nicht mehr tragbar, aber in festen, kleinen Strukturen wie unseren Gruppen kommen sie erstaunlich gut klar“, sagt er. Das gilt auch für die Schützlinge des Jugendhilfeverbandes, die ebenfalls teilnehmen. Seit vier Jahren organisiert das Steigenberger diese Nachmittag: Die Kinder schreiben Wünsche auf Postkarten, Hotelgäste und Potsdamer pflücken diese vom Weihnachtsbaum, kaufen ein, und geben die Geschenke – Schminksets, Fußbälle, Schwimmbrillen und ferngelenkte Autos – an der Rezeption ab. Obschon das Steigenberger bei übrig bleibenden Kärtchen einspränge, war das nie nötig: Alle Wünsche wurden bislang erfüllt. Da hat es der Weihnachtsmann schon schwerer: Als Autoritätsperson muss er eine Menge Aggression aushalten. Doch er nimmt es natürlich mit Humor: „Hier bin ich immer nur Weihnachtsmann-light“.

Erschienen am 18.12.2007

Von Schuhputzern und Kaffeetestern

Montag, 3. Dezember 2007

Erlebniseinkauf: Am langen Adventssonntag ließen sich die Händler einiges einfallen – und wurden belohnt

Dichtes Gedränge auf den Straßen der Innenstadt: Die dritte „Lange Nacht der Nikoläuse lockte“ so viele Besucher wie nie zuvor an.

INNENSTADT Ratje Müller hatte zweifellos einen der besten Jobs der Langen Nacht der Nikoläuse. Sie stand im Warmen, sie teilte kostenlos aus und sie saß an der Quelle dessen, was es brauchte, um bis 24 Uhr durchzuhalten: Kaffee. Drei Premiumsorten aus Kenia, Äthiopien und Peru brühte die Kaffee-Expertin im Halbstunden-Takt frisch auf und ermunterte Besucher der Confiserie in der Brandenburger Straße, sich auf die Geschmacksreise einzulassen. Sie musste meist nicht lange bitten, denn Ratje Müllers Begeisterung für das heiße Schwarze steckte an. Wenn sie von der feinen Nase, der Fülle und der typischen leichten Säure des kenianischen Hochlandkaffees schwärmte, wurden auch überzeugte Teetrinker neugierig. Es war eine Premiere, bei der Langen Nacht Kaffee verkosten zu lassen, und sie gelang: „Kommt sehr gut an“, resümierte Müller bei einer Tasse Kenia-Hochland. Dass sie einen Kaffeefreund überzeugen konnte, vom Vollautomaten wieder zur Handbrühung zurückzuwechseln, war da nur noch das Sahnehäubchen auf ihrem Abend.
Für Andreas Landersheim ist Handarbeit hingegen Alltag. Den Weihnachtsmann als Kunden hat er dennoch nicht alle Tage. Kurz vor Toresschluss kam der, ließ sich auf den goldenen Thron plumpsen undsagte „Meister, ich brauche Eure Hilfe“. Das ließ sich ein Service-Mann wie Landersheim nicht zweimal sagen: Flugs griff der Show-Schuhputzer zum Werkzeug. Den groben Schmutz entfernte er mit der Bohrmaschine, in die er eine Bürste gespannt hatte. Der abgefallen Dreck kam zur Analyse unters Mikroskop, bevor Landersheim mit der elektrischen Zahnbürste die Creme auftrug und dann polierte. Zwischendrin zauberte, jonglierte und scherzte er, und kaum jemand im Karstadt-Stadtpalais kam an diesem Szenario vorbei, ohne amüsiert stehenzubleiben. Besonders die Kinder mussten fast schon mit Gewalt vom lustigen Schuhputzer weggezerrt werden, doch auch viele Ältere blieben trotz Geschenke-Kauf-Stresses mit einem stillen Lächeln stehen.
Lächeln konnten auch die Hobbymodels im Modegeschäft von Karin Genrich, die wieder zur Modenschau geladen hatte. Vier Damen und zwei Herren zeigten die aktuelle Kollektion, trugen Kaschmirwolle und Missoni-Muster, beantworteten Fragen zum Tragekomfort und ließen das überwiegend weibliche Publikum bei Bedarf auch den Stoff befühlen. Student und Teilzeit-Model Jeffrey sang zwischendrin leise Lieder zur Laute, und Weihnachtspunsch und Stollen sorgten für eine gnädige Aufnahme der Preisschilder. Filialleiterin Simone Möller war zufrieden: Die Sitzplätze im kleinen Laden reichten kaum aus, und der Andrang zur Modenschau machte den eher ruhigen Nachmittag wieder wett.
Gegen 22 Uhr, als der Strom langsam abschwoll, überlegte sie, etwas vorfristig zu schließen. Ein Kenia-Kaffee hätte da helfen können.

Erschienen am 03.12.2007

Vollwertiges von der Kornschnecke

Mittwoch, 28. November 2007

Ernährungstag im Haus der Generationen

SCHLAATZ Marika Steiger trägt ein T-Shirt, auf dem steht „Zucker macht zahnlos“. Es ist ein programmatisches T-Shirt. Und an Programmatik mangelt es der Gesundheitsberaterin nicht – Fleisch ist von Übel, Zucker sowieso, über 43 Grad erhitzte Speisen sind tot, das wird sie nicht müde zu betonen. Einige ihrer Zuhörer sind es indes müde. „Jetzt kommt das schon wieder“, knurrt jemand in der Schlange am Buffet, als Steiger noch einmal darauf hinweist, dass man doch zuerst den Salat, dann die Brotaufstriche und erst zum Schluss die Suppe essen möge.

Von solchen Nickligkeiten abgesehen ist das Seminar „Leckeres Essen“ ein voller Erfolg im Haus der Generationen und Kulturen am Schlaatz. Innerhalb des über 30 Wochen laufenden Projektes „Gesundes Altern“, dass der Trägerverein „Soziale Stadt“ im Generationen-Haus anbietet, lernen hier 30 Senioren von 60 bis 93 Jahren, wie sie eine leicht verdauliche, gesunde, vollwertige Mahlzeit zubereiten. Kochen können sie natürlich alle längst, insbesondere die zwölf Damen, aber die Feinheiten der Vollwertkost sind den meisten neu.

Die Rezepte und die Menüfolge hat Marika Steiger mitgebracht: Es gibt Feldsalat mit Radieschen in Vinaigrette, Weißkohlsalat mit Sauerkraut und Schwarzkümmel, Rote Beete, Dinkel-Buchweizen-Brot aus von Steiger selbst geschrotetem Vollkorn, Möhren-Tomate-Aufstrich, Kakao-Aufstrich („Öko-Nutella“, wie einer der beiden älteren Herren despektierlich anmerkt) und heißen Hirsetopf als krönenden, warmen Abschluss – hier weicht Marika Steiger von der Regel, dass Essen über 43 Grad totes Essen sei, ausnahmsweise mal ab. „Man muss sich ja auch nach dem Publikum richten“, sagt sie fast entschuldigend. Die Kurse kommen so gut an, dass weitere bereits in Planung sind. Friedrich Reinsch, Geschäftsführer der „Sozialen Stadt“, freute sich am Rande der Veranstaltung über den großen Zuspruch und die Unterstützung des Projektes durch das Gesundheitsamt, das sich sehr fürs gesunde Altern engagiert. Marika Steiger ist für Freunde gesunder Ernährung auch im Internet unter www.kornschnecke.de zu finden.

Erschienen am 28.11.2007


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