Archiv für die Kategorie „Kommentar“

Kultur geht durch den Magen

Montag, 19. Mai 2008

Das Abendland geht schon wieder unter. Nur ein Häuflein aufrechter Eltern stellt sich noch mit Protesten dem kulturellen Verfall entgegen, der diesmal in Form des Verzichts auf Schweinefleisch im Mittagessen von zehn Münchner Kitas daherkommt. Er tut das unter dem Deckmantel des Pragmatismus: Weil bis zu 60 Prozent der Kinder dieser Kitas Muslime sind, will die Schulverwaltung gänzlich aufs Schwein verzichten.
Nicht nur von den Eltern wird das flugs zur vor-auseilenden Selbstaufgabe der westlichen Welt stilisiert. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszei-tung diagnostiziert auf der Stelle einen besonders schweren Fall der vorgeblich überall grassierenden kulturellen Demenz – „einer bis zur Selbstaufgabe übersteigerten Rücksichtnahme“, die auf direktem Wege zum Verschwinden der jüdisch-christlichen Kultur führt. Hurra, wir kapitulieren mal wieder. Das Schandmahl ist angerichtet, und die bitteren Brocken schmecken nach Abdankungsbereitschaft aller westlichen Werte. Denn spätestens jetzt wird klar: Die Transformation Europas in einen islamischen Kontinent ist längst nicht mehr aufzuhalten. Die Horden des Bösen verbreiten nicht nur Angst und Schrecken, sie nehmen uns auch die kulturell verbürgten leiblichen Genüsse.
Soviel Aufregung wegen ein paar läppischer Schnitzel und Bockwürste!
Es muss ein sehr trauriges Bild sein, das diese lustvollen Propheten des Untergangs von ihrer westlichen Welt haben, wenn sie deren Kern schon beim Verzicht auf Eisbein und Bauchfleisch in Kindertagesstätten bedroht sehen. Und nicht nur das: Sie unterstellen der von ihnen so kultisch verehrten westlichen Zivilisation damit eine Fragili-tät, die fast schon beleidigend ist angesichts der Jahrhunderte ihres Bestehens. Das alles erweist sich bei Lichte betrachtet als fataler Fehlschluss, dem aufzusitzen das weitaus größere Übel wäre. Die Stärke des Abendlandes liegt keineswegs in seiner Speisekarte, sondern in seiner Offenheit und Pluralität. Nicht durch einen Rückfall in die Abgrenzung von anderen oder die Überhöhung der eigenen Kultur in eine „leitende“ beweist der Westen seine Stärke. Diesem fatalen Irrtum ist er doch schon mehrfach aufgesessen, und die Folgen sind noch lange nicht verdaut.
Die Bereitschaft zur Integration hingegen ist der einzige Weg aus dem Dilemma. Dass er immer leicht sei und keine Opfer fordert, hat nie jemand ernsthaft behauptet. Diese Bereitschaft zu opfern wäre aber der wahre Rückschritt: ein Rückfall in voraufklärerische Zeiten, der die Diagnose vom Verfall der westlichen Kultur weit eher rechtfertigte als Haxenentzug für Vorschüler.

(Veröffentlicht am 19. Mai 2008)

Verdienstvoll

Donnerstag, 15. Mai 2008

Jan Bosschaart über das Erinnern an einen Wunderzug und Falkenseer Desinteresse

Augsburg nennt sich Mozartstadt, weil der Komponist dort zweimal Verwandte besuchte. Als das Tourismusamt auch noch vorhatte, sich Sissy-Stadt zu nennen, weil die Kaiserin einmal hindurch gefahren sein soll, rebellierten die Bürger: „Zu peinlich!“ Welchen Schuh sich eine Stadt anzieht, sagt eine Menge über sie aus.

Daher wäre es sicher überzogen, wollte Falkensee sich künftig Eisenbahnstadt oder Triebwagenmetropole nennen, nur weil mit dem „Fliegenden Hamburger“ Deutschlands erster und schnellster Dieseltriebwagen ab 1933 hindurchsauste. Zu behaupten, das Zugjubiläum sei für die Stadt völlig uninteressant, führte aber auf der anderen Seite des Gleises am Thema vorbei. Der „Fliegende Hamburger“ hat Eisenbahngeschichte geschrieben, und die lässt sich schwerlich von der Region trennen, die er dabei durchfuhr. Daher scheint das von den Spandauer Organisatoren einer Gedenktafel beklagte Desinteresse der Falkenseer in der sonst bei Zug- und Nahverkehrsfragen so aufgeregten Stadt schwer verständlich.

Die Gedenktafel ist verdienstvoll, und die Erinnerung durchaus nötig: Die meisten Jugendlichen dürften beim Thema „Fliegender Hamburger“ bislang bestenfalls an Essensschlachten im Schnellrestaurant denken.

Erschienen am 15.05.2008

Freundeskreise

Samstag, 26. April 2008

Jan Bosschaart über Sorgen und Ergebnisse der Wahl zum Jugendparlament

Die insgeheim befürchtete Katastrophe ist ausgeblieben: Die Spaßkandidaten mit ihren neo-dadaistischen Wahlslogans, mit Handyfotos als Bewerbung und der Absicht, durch vermeintlich cooles Nicht-Ernst-Nehmen des Ganzen Stimmen zu gewinnen, haben sich nicht durchgesetzt – die durchaus umstrittene Wahlempfehlung der MAZ war dazu gar nicht nötig.

Sitzen nun stattdessen nur die Ernsthaften und Ambitionierten, die Seriösen und Interessierten im Jugendparlament, das im nationalen Vergleich einen außerordentlich hohen Einfluss haben wird? Vermutlich nicht. Verlässt man sich auf den Eindruck aus der Vorstellungsrunde und auf die Einschätzungen von Mitschülern, so schimmert durch, dass vor allem die Beliebten und die Szenigen, die in der Vorbereitungsgruppe Engagierten, die Netten und die etwas Älteren gewählt wurden. Bewerber, die in Berlin zur Schule gehen und somit keine Freundeslobby aktivieren konnten, liegen hingegen ganz weit hinten.

Das zu beklagen, bewiese Realitätsferne: Dass nicht allein nach Kompetenz, sondern auch nach Sympathie gewählt wird, muss eine Demokratie hinnehmen. Das Jugendparlament ist durch die Wähler deutlich legitimiert. Es ist nun aufgerufen, diese Legitimation zu rechtfertigen.

Erschienen am 26.04.2008

Ein Schritt zu weit

Donnerstag, 24. Januar 2008

Jan Bosschaart über das Für und Wider zur Privatisierung märkischer Seen

Man kann sie ja verstehen, die Sorgen der Fischer: Als Verpächter der Fischereirechte war der Bund in Gestalt der von ihr beauftragten BVVG ein verlässlicher Partner. Die Pachten galten als angemessen, Vertragsverlängerungen waren meist nur eine Formalie. Das Verhalten künftiger privater See-Eigner hingegen ist im Voraus schwer kalkulierbar: Wollen sie ihre Seen selbst bewirtschaften? Oder verpachten sie diese weiter – und wenn, zu welchen Konditionen? Das Land muss sich diese Sorgen nicht zu eigen machen, sondern kann elegant mit dem Finger nach Berlin zeigen und darüber hinaus „Willkommen in der Marktwirtschaft!“ rufen.
Auch wenn man es sich in der Staatskanzlei damit möglicherweise zu einfach macht: Vom Steuerzahler zu fordern, er müsse die Seen erwerben, damit die Fischer verlässliche Pachtbedingungen vorfinden, geht einen Schritt zu weit. In den meisten anderen Branchen müssen schließlich auch marktübliche Pacht bezahlt oder Eigentum erworben werden – sei es nun im Wald und auf dem Feld oder in der Industrie. Und solange Zäune um Seen verboten sind, dürfte es Touristen auch egal sein, wem das Idyll, das sie genießen, eigentlich gehört.

Erschienen am 24.01.2008

Weitsicht und Vernunft

Dienstag, 22. Januar 2008

Jan Bosschaart über den Stellenabbau im Brandenburger Strafvollzug

Sie haben ja recht, die Vollzugsbediensteten: Es ist nicht eben einleuchtend, wenn allenthalben über Kriminalität und schärferen Vollzug debattiert wird, zugleich aber viele Mitarbeiter aus den Haftanstalten entlassen werden. Wo Fordern und Handeln so auseinanderklaffen, kann der Ruf nach harten Strafen von seinem eigenen Echo übertönt werden, wie Hessens Ministerpräsident Koch dieser Tage gerade lernt. In der Justiz sparen, aber mehr von ihr verlangen, passt nicht zusammen. Doch die naheliegende Politikerschelte trifft zumindest in der Mark auch nicht den Kern der Sache: Die Ministerien müssen eben sparen, und angesichts leidlich guter Verhältnisse in den Haftanstalten – relativ viel Personal, relativ wenige Insassen – setzt die CDU-Ministerin eben dort den Rotstift an. Dass sie den Jugendvollzug verschont, ja sogar ein wenig mit Personal päppelt, spricht für Sensibilität und Weitsicht: Als das Jugendstrafvollzugsgesetz im Dezember den Landtag passierte, war der hessische Wahlkampf noch kein Spitzenthema. Dass Beate Blechinger statt mehr Schließern ausschließlich Psychologen und Pädagogen zur Aufstockung des Personals heranzieht, zeigt zudem, dass hier auch Sachlichkeit und Vernunft walten können – trotz Wahlkampfs ihrer Partei in Hessen.

Erschienen am 22.01.2008

Netter Versuch!

Samstag, 12. Januar 2008

Jan Bosschaart über den Alarmismus der Wirte beim Nichtraucherschutz

Das Trommeln in eigener Sache gehört zum Handwerkszeug im Verbandsgeschäft. Dazu sind Verbände da: um die Kräfte zu bündeln und der geeinten Stimme mehr Gewicht zu verleihen. Dieses Gewicht aber muss Uwe Strunk, Hauptgeschäftsführer des Brandenburgischen Hotel- und Gaststättenverbandes, schwer auf der Seele gelastet haben, als er ein Interview über den Ärger der Gastwirte wegen des Rauchverbots gab. Es ließ aus dem Trommeln einen veritablen Paukenschlag werden. Dass es Cafés gebe, in denen seit dem 1. Januar deshalb nicht einmal ein Stück Kuchen verkauft wurde, behauptete er. Mag sein, dass ihn der Knall selbst erschreckt hat, denn ein konkretes Beispiel blieb der Cheflobbyist der märkischen Wirte auch auf Nachfrage schuldig. Sein angedeuteter Fall in der Prignitz beruht bei genauerem Hinsehen jedenfalls eher auf einer Mischung aus Angst vor dem Ausbleiben der Raucher und der saisonal typischen Flaute im Gastgewerbe. Das heißt nicht, dass das Rauchverbot nicht die Gefahr birgt, kleine Lokale in den Ruin zu treiben. Es beweist nur, dass es für solche Aussagen noch zu früh ist. Bis das geklärt ist, gilt: Netter Versuch, Herr Strunk!

Erschienen am 12.01.2008

Rolle rückwärts

Samstag, 29. Dezember 2007

Jan Bosschaart über den erfolgreichen Start des Babybegrüßungs-Dienstes

Der Name des Babybegrüßungs-Dienstes ist irgendwie lustig. „Dienst“ kommt (auch) vom griechischen „diakonia“, was soviel wie „eine praktische Handreichung geben“ bedeutet. Demnach wäre das Angebot der Stadt eine Handreichung zum Begrüßen von Neugeborenen… Doch die Sache ist ernst, wie nicht erst die mit verstärkter Medienaufmerksamkeit bedachten Fälle von Kindesmisshandlung, -vernachlässigung und -tötung beweisen: Das enge Netz der Kontrolle über die Entwicklungsbedingungen von Babys, wie es DDR-Bürger gewohnt waren, musste in einem weniger überwachenden, die Privatsphäre stärker respektierenden politischen System zwangsläufig weiter werden. Dass nun auch hier eine Rolle rückwärts vollzogen wird, dass eine der beiden hauptberuflichen Babybegrüßerinnen in der DDR-Mütterberatung tätig war, mag manchem Ostalgiker wie geschickt umgegossener alter Wein in neuen Schläuchen erscheinen, zumal der Dienst mit viel Rummel gestartet wurde. Den Nutznießern des Ganzen, die noch nicht für sich allein sorgen können, kann das herzlich egal sein. Mit 1480 Babys hatte Potsdam schon Mitte Dezember einen Nachwende-Rekord. Und wenn auch nur eine Vernachlässigung verhindert wird, hat das lustige Begrüßen seinen Zweck erfüllt.

Erschienen am 29.12.2007

Heirat macht glücklich

Freitag, 28. Dezember 2007

Jan Bosschaart über die Vorteile der Ehe – vor allem, wenn andere sie schließen

Heiraten lohnt sich, behauptet die Wissenschaft. Ökonomisch gesehen leuchtet das ein – aber sonst? Jede Hochzeitszeitung weiß doch von den Schrecknissen der Ehe zu berichten, vom Mann, der als Raubtier startet und als Bettvorleger landet, von der Frau, die wahlweise als Schmusekätzchen oder scharfe Mieze in die Ehe geht und als waffenscheinpflichtiger Kampfdrache der Einsatzklasse wieder herauskommt – wenn überhaupt. Glaubt man den Sozialwissenschaftlern, ist das Mumpitz: Wer heiratet, wird reicher als ein Single, er trinkt weniger Alkohol (weil der Partner es verbietet), bleibt gesünder (wegen des Alkoholverbots), ist glücklicher (weil der Partner befahl, auf dem Fragebogen „ glücklich“ anzukreuzen), hat mehr Sex (ja, aber was für welchen?) und er lebt länger (ist aber viel eher bereit, zu sterben). Zudem würden verheiratete Männer mehr arbeiten und Frauen mehr lachen (darüber, dass er sich krumm macht, aber kein Bier dafür bekommt?). Ob diese „Vorteile“ außer der wissenschaftlichen Signifikanz auch Alltagssignifikanz erlangen, sei dahingestellt. Unstrittig hingegen ist, dass die Heiratsfreude der Potsdamer und ihrer „Hochzeitsgäste“ der Stadt nur Vorteile bringt: ökonomische, moralische und touristische – und die, die machen wirklich glücklich. Jeden. Auch Unverheiratete.

Erschienen am 28.12.2007

Der Geist der Weihnacht

Dienstag, 18. Dezember 2007

Jan Bosschaart über Spendenaktionen im Advent

Ja wo ist er denn, der Geist der Weihnacht? Liegt er begraben unter Geschenkebergen? Ist er längst totgedudelt von seichter Weihnachtsmusik, von Jingle Bells und Co. in der fahrstuhltauglichen Version? Oder ist er ertrunken im Glühwein? Depressiv vom Weihnachts-Werbe-Wirbel? Es gehört mittlerweile zur adventlichen Folklore, sich – nicht zu Unrecht – über die Kommerzialisierung und die Entzauberung des Weihnachtsfests zu beklagen und zugleich daran teilzunehmen. Das Verdammen von Spendeaktionen liegt an diesem Punkt der vorweihnachtlichen Debatte schon in der Luft wie der Kardamom beim Plätzchenbacken. „Warum nur jetzt“, heißt es dann meist mit betroffenem Augenaufschlag, „Not gibt es doch das ganze Jahr!“ Das mag unter moralischen Qualitätskriterien richtig sein, aber ginge es nicht etwas pragmatischer? Die Alternative zu Spenden, Wärme und Aufmerksamkeit vor dem Fest lautet doch nicht: dasselbe, das ganze Jahr über, sondern: dann eben nicht. So betrachtet, sind glückliche Kinderaugen im Hotel, rund um die Integrationslaube oder in der Suppenküche eindeutig die bessere Wahl. Genau dort nämlich geht er um, der vielbeschworene Geist der Weihnacht. Trotz Geschenkebergen. Oder gerade darin.

Erschienen am 18.12.2007

Vertrauensverfall

Donnerstag, 13. Dezember 2007

Jan Bosschaart über das Lavieren der Bauverwaltung in Sachen Lennéstraße 44

Jetzt wird es auch noch ein Fall für den Bund der Steuerzahler. Der prangert in seinem Schwarzbuch jährlich die größten Verschwendungen öffentlicher Gelder an. Wer nun das Lavieren der Verwaltung in Sachen Lennéstraße 44 in der Zeitung verfolgte oder sich gar das ins Groteske ufernde Schauspiel im Bauausschuss am Dienstagabend zu Gemüte führte, muss unweigerlich zu dem Schluss kommen, dass der Battis-Bericht bei aller inhaltlichen Qualität auch nur zum Fenster herausgeworfenes Steuergeld darstellt – daraus gelernt hat die Bauverwaltung offenkundig nichts. Das Verschanzen der Verwaltung hinter dem Datenschutz, um zu verbergen, dass offenbar Fehler gemacht wurden, die nur im nichtöffentlichen Teil eingeräumt werden und die fast schmollende Auskunftsverweigerung, die kaschiert, dass hier offenbar vor einem aggressiv auftretenden Bauherrn eingeknickt wurde, das alles hätte kaum das Wohlwollen des Berliner Verwaltungsrechtsprofessors erregt, der wegen Unregelmäßigkeiten in dieser Abteilung des Rathauses im Frühjahr in Aktion trat. Dass nun die Brandenburger Vorstadt mit einer Bausünde garniert wird, erscheint angesichts des fortschreitenden Vertrauensverfalls in die Bauverwaltung mittlerweile fast schon als das kleinere Übel.

Erschienen am 13.12.2007


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