Archiv für die Kategorie „Zossener Rundschau“

Mehr Integration, weniger Medienkonsum

Mittwoch, 12. November 2008

Jugendkriminalität: Experten, Helfer und Betroffene suchten nach Antworten

Wie lässt es sich verhindern, dass in Frankreich die Vorstädte brennen und in der Münchner U-Bahn Jugendliche einen Mann fast zu Tode prügeln? Die Stiftung Genshagen lud deutsche und französische Experten zur Debatte ins Schloss.

GENSHAGEN| Die Idee zur Debatte ist schon drei Jahre alt: Als in Frankreich Ende 2005 die Banlieues brannten, reifte in der Stiftung Genshagen der Gedanke heran, ein Austausch über Jugendgewalt könnte für Franzosen wie Deutsche gewinnbringend sein. Angezündet wurden die Vorstädte damals von wütenden Jugendlichen – meist mit Migrationshintergrund -, die ihren Gefühlen von Chancenlosigkeit und Ausgrenzung mit Streichholz und Baseballschläger Ausdruck verliehen. Der Plan der Stiftung, die sich der deutsch-französischen Zusammenarbeit in Europa verschrieben hat, erwies sich nahezu als prophetisch. Nicht zuletzt wegen der Münchner U-Bahn-Schläger und weil Jugendkriminalität in Hessen zum Wahlkampfthema wurde, erreichte die Debatte auch Deutschland. Die Ausrichtung der Tagung in Genshagen indes scheiterte zunächst an Förderhürden, wie Noémie Kaufman, Projektleiterin der Stiftung, bedauerte. Doch das Warten lohnte: Am Wochenende trafen sich 75 Wissenschaftler, Sozialarbeiter, Polizisten, Staatsanwälte, Lehrer und Integrationsbeauftragte, um sich über den Umgang mit Jugendkriminalität auszutauschen. Das Publikumsinteresse war groß, auch hochkarätige Referenten sagten gern zu. Darunter Jean-Yves Camus, Frankreichs bekanntester Experte für Rechtsextremismus und Christian Pfeiffer, ehemaliger niedersächsischer Innenminister und heute Professor und Direktor eines kriminologischen Forschungsinstituts.
Große Namen sichern breite Aufmerksamkeit, bergen aber auch Gefahren, wie sich am Freitagabend zeigte. Christian Pfeiffer, der sich etwas verspätete, platzte in eine bereits laufende, aber recht unemotional plätschernde Debatte: Man war sich in vielem einig. Der streitbare Pfeiffer hingegen riss sofort die Aufmerksamkeit an sich. Er sagte zwar nichts, was er nicht auch sonst bereitwillig in Kameras und Journalistenblöcke diktiert, aber er sagte es mit einer Schärfe und Gewissheit, als gäbe es keine offenen Fragen mehr: dass Migrantenkinder, speziell türkische, deutlich häufiger zu Gewalt neigen; dass sie meist weniger gebildet, aber nicht dümmer sind, sondern nachweislich nur nicht gefördert und integriert wurden; dass Misshandlung und übermäßiger Medienkosum bei Kindern kriminelle Karrieren deutlich befördern; dass Computerspiele von großem Übel und die Hauptschule wie die Pest zu meiden sei; dass in Niedersachsen alles besser und in Berlin alles ganz besonders schlimm sei. Doch er wusste auch Rat: Nicht auf die Politik hoffen, den Medienkonsum reduzieren, bürgerschaftliches Engagement wagen, Integration fördern, dann klappt’s auch mit den Gewalttätern. Ein Integrationsbeauftragter im Publikum wagte den Einwand, dass ihm diese Sicht zu einseitig und „verkrampft optimistisch“ erscheine und wurde von Pfeiffer harsch abgekanzelt. Der ebenfalls anwesende Direktor der Berliner Rütli-Schule – mittlerweile eine Vorzeigeeinrichtung – sah zwischendurch aus, als wolle er platzen, bemeisterte sich aber und betonte am Ende nur sarkastisch, es sei doch schade, dass der Herr Pfeiffer so dringend zum Flugzeug musste und nicht zur Diskussion bleiben konnte. Schwerer wog, dass der französische Soziologe Marwan Mohammed und Safter Cinar vom Türkischen Bund Berlin-Brandenburg kaum zu Wort kamen. Sie saßen zwar auch auf dem Podium, ihre leiseren und differenzierteren Beiträge wurden aber durch die schiere Präsenz Pfeiffers fast erdrückt.
Es standen noch weitere Debatten auf dem Programm: über wirksame Mittel gegen Gewalt an der Schule; über die Frage, ob Prävention oder Strafe die geeignetere Antwort auf Jugendkriminalität sind und wie man rechtsextremen Jugendlichen wirkungsvoll begegnet. Alles Fragen, zu denen auch Professor Pfeiffer sicher eine wortreiche Antwort gehabt hätte. Aber der war ja schon weg.

Erschienen am 12.11.2008

Schimpffreudig

Samstag, 25. Oktober 2008

Jan Bosschaart über einen besonderen Volkssport im Herbst

Alle Jahre wieder kommt – der Herbst. Die Bäume entblättern sich, und mehr als nur eine Hand voll flotte Feger sind vonnöten, um den ehemals grünen, die nun gelbe, rote oder braune sind, zu zeigen, was eine Harke ist. Darauf könnte eine Ordnungsbehörde wohl vorbereitet sein. Dass die Bäume abschütteln, was sie noch vor kurzem kleidete, erfolgt mit so schöner Regelmäßigkeit, dass selbst der skeptischste Ordnungsamtsleiter durchaus nicht fehl darin geht, dem Phänomen den Charakter eines Naturgesetzes zuzubilligen. Glaubt man nun aber Volkes Stimme – und beim gemeinsamen Rechen vor der Haustür trägt Volkes Stimme weit in der klaren Herbstluft – so belegt schon jede Zusammenrottung von mehr als drei Blättern auf dem Asphalt mal wieder die völlige Unfähigkeit der Kommune, für Ordnung zu sorgen. Ja, da macht er sich gern Luft, der Bürger; der Begriff Herbststurm kommt nicht von ungefähr. Der Vorwurf indes geht fehl: Allerorten wird in den Bauhöfen zusammengetrommelt, wer nicht bei drei auf den kahlen Bäumen ist, und zum Dienst an der Harke verpflichtet. Dass selbst der emsigste Kommunalbedienstete nicht mit dem Laubsack unter jeder Linde stehen und herabsegelnde Blätter vor dem Auftreffen auf dem Asphalt abfangen kann, sollte da selbst dem schimpffreudigsten Bürger einleuchten.

Erschienen am 25.10.2008

Sie will die Eine werden

Samstag, 18. Oktober 2008

Wettbewerb: Nach dem Sieg in Rangsdorf will ein Nachwuchsmodel den Bundestitel

Paula Gegg hat den Modelwettbewerb im Einkaufscenter gewonnen – heute Abend könnte sie den Sprung ins Modelgeschäft schaffen.

RANGSDORF| Sie mag es gern natürlich, hat noch nie ihre Haare gefärbt und geht im Alltag sogar ungeschminkt aus dem Haus: Paula Gegg wirft einige wohlgehütete Vorurteile über Models und Mädchen, die es werden wollen, über den Haufen. Erstaunte Nachfragen dazu lächelt sie einfach weg. Das ist eine durchaus erfolgreiche Methode, wenn man erst 20 Jahre alt ist, 1,73 Meter groß und durch ein sehr ebenmäßiges Gesicht auffällt: Ob unangenehme Fragen, lastende Stille oder kleine Malheurs – Weglächeln funktioniert.
Ihre Qualitäten konnte Paula zum ersten Mal im Rangsdorfer Südringcenter vor einer größeren Öffentlichkeit unter Beweis stellen: Sie gewann mit deutlichem Abstand den Regionalausscheid des Nachwuchs-Modelwettbewerbs „Die Eine“, den der Handelskonzern Metro in seinen Häusern veranstaltet. Das brachte ihr nicht nur diverse Einkaufsgutscheine, sondern gilt zugleich als Ticket zum Bundesfinale an diesem Wochenende in Bremen, auf dem Paula gegen 23 Konkurrentinnen in den Disziplinen Abendkleid, Bademode und Kurzinterview antritt. Wer hier gewinnt, bekommt einen Modelvertrag.
Das würde ihr durchaus gefallen: Mit Schönheit hat sich die gebürtige Berlinerin schon seit frühester Kindheit befasst, nahm seit ihrem vierten Lebensjahr Ballettunterricht und begann nach der Schule eine Ausbildung zur Kosmetikerin. Als Foto- und Laufstegmodel um die Welt zu reisen, käme ihr sehr entgegen, sagt sie. Selbst wenn es nichts wird mit dem Titel, will sie als Kosmetikerin in den USA ihr Glück versuchen.
Dass sie mit 20 Jahren fast schon ein wenig spät dran ist für die Modelbranche, ist Paula bewusst. Es ist auch ein wenig der Überbehütung geschuldet: Als einziges Kind ihrer Eltern war die hübsche, sportliche Paula schon früh der Star der Familie – ein stolzer Papa, der als Bootshändler die schöne Tochter auch auf Messen in seinen Booten zeigte und eine Mutter, die Tausende Fotos von ihrer Tochter machte und sie auch zur Teilnahme am Wettbewerb ermunterte, gaben ihr das nötige Selbstvertrauen: Paula muss ihre Unsicherheiten nicht unter zentimeterdicken Schichten Schminke vergraben, sie greift im Notfall auf ihr Lächeln zurück.
Sieht man davon ab, dass die 20-Jährige dank dieser festen Familienbindung zuweilen noch ein wenig unselbstständig und nicht eben initiativ wirkt – „Ich bin halt ein kleiner Spätschalter“, sagt sie selbst – erweckt sie einen angenehm natürlichen und jugendlichen Eindruck. Sie sei keine „Partymaus“, betont Paula und ihre grünen Augen halten einen Moment inne, um zu betonen, dass das jetzt ein Satz war, der ihr sehr wichtig ist. Das Zusammensein mit ihren Freundinnen, das Durchhecheln aktueller Modetrends oder ein gemütlicher Videoabend seien ihr wichtiger. Auch mit der Partnersuche habe sie keine Eile, fügt sie hinzu, um ihren unaufgeregten Lebenswandel zu unterstreichen – vielleicht liege das ja an der katholischen Schule und der eher konservativen Erziehung, die sie genossen habe, sagt sie kokettierend. Bodenständigkeit, Natürlichkeit, Unaufgeregtsein – das ist das Bild, das die 20-Jährige von sich vermittelt. Wenn die Jury in Bremen heute Abend genau solch einen Typ sucht, hat Paula den Vertrag so gut wie in der Tasche. Wenn nicht, hat sie ein dichtes soziales Netz, das sie auffängt.

Erschienen am 18.10.2008

Was der Senkel hergibt

Samstag, 18. Oktober 2008

Schnüren scheint das Gebot der Stunde, doch die Jury ist gnadenlos

Rettungspaket wird das Wort des Jahres werden – soviel lässt sich schon jetzt sagen. Es wird dieser Tage grandios geschnürt in Deutschland: Jeder, der was zu retten hat, schnürt, was der Senkel hergibt. Das hat den angenehmen Nebeneffekt, dass Armut ausnahmsweise mal tröstlich ist: Wer nichts hat, kann nichts verlieren, muss nichts retten. Die vielzitierte Angst des Mittelstands vor dem Abrutschen ins Prekariat, hier wandelt sie sich in ein sanftes Ruhekissen. Nur des wirklich Wohlhabenden Konto trägt böse Früchte: „Hätte ich kein Aktiendepot, ich könnte ruhiger schlafen.“ Das ist die Strafe dafür, dass er sich dem Trend zur Armut standhaft verweigerte – doch der Konjunktiv ist der Feind des Verlierers. Großmut und Opferbereitschaft sind daher das Gebot der Stunde. Der Chef der Deutschen Bank verzichtete, nachdem er sich gründlich umgeschaut hatte, ob auch alle Kameras angeschaltet und alle Bleistifte gespitzt sind, auf seine Boni und begnügt sich nun mit einem schmalen Grundgehalt von 1,2 Millionen Euro. Auch er schnürt also mit, und er spendet die Millionen den Bedürftigsten: verdienten Mitarbeitern seines Geldhauses. Das ist konsequent, denn wenn wir eines gelernt haben aus der Finanzkrise, dann dass es die schwer arbeitenden, bis zur Selbstaufgabe am Gemeinwohl orientierten Banker sind, die nun wirklich am wenigsten dafür können, aber am schlimmsten gebeutelt werden. Sie haben schließlich die gefährdeten dicken Depots, während sich der gemeine Hartz-IV-Lümmel auf seiner Schadenfreude darüber ausruht, dass er ja nichts zu verlieren habe. Sie ist ungerecht, die Welt, und der Pöbel ohne Mitgefühl.
Das Schnüren macht indes Schule. Bei der Miss-Wahl am Mittwoch in Diedersdorf versuchte eine Kandidatin, die Auswirkung der skeptischen Jury-Blicke auf ihr Selbstbewusstsein in den folgenden Runden durch beherzten Eingriff in die Feinjustierung ihres BHs abzumildern. Danach hätte sie zwar freihändig Maßkrüge über den Laufsteg balancieren können und freie Auswahl an Mitfahrgelegenheiten nach Hause gehabt, im Gesamtklassement brachte sie das aber auch nicht spürbar nach vorne. Atemnot und ein farblich ihrem feuerwehrroten Abendkleid nacheifernder Teint lehrten sie immerhin, dass „Schnüren“ und „Abschnüren“ den selben Wortstamm haben. Das wiederum ist eine Lektion, die zu lernen Politikern und Bank-Chefs erst noch bevorsteht. Und wenn es ganz mies läuft, selbst uns armen Prekariern.

Erschienen am 18.10.2008

Wadenkrampf und Freudentränen

Freitag, 17. Oktober 2008

Wettbewerb: Bademode im Bierdunst: Auf dem Diedersdorfer Oktoberfest wurde wieder eine Miss gesucht

Sie konnten sich direkt fürs Landesfinale der „Miss Germany“ qualifizieren, die elf Teilnehmerinnen im Vorausscheid.

DIEDERSDORF| Der Wadenkrampf sollte sich am Ende lohnen. Doch vor die Schärpe haben die Götter den Schmerz gesetzt: Nicole Reimer lächelte eisern durch, aber über ihren 10-Zentimeter-Stiletto-Absätzen krampften die Wadenmuskeln erkennbar. Doch was soll man tun, wenn man nur 1,60 Meter groß ist, aber trotzdem Miss Germany werden möchte?
Sie hatte auch noch die längste Stehzeit, die 21-jährige Berlinerin, denn ihr war die Startnummer 1 zugelost worden. Im cremefarbenen Abendkleid musste sie am Mittwochabend als erste auf den weiß-blau karierten Laufsteg im Diedersdorfer Oktoberfestzelt, zehn weitere Miss-Anwärterinnen folgten. Das Zelt war nur gut halb voll, aber die Stimmung – auch dank genügend Maßkrügen – von Beginn an gut. Zweimal auf und ab, unter den prüfenden Blicken der Jury, dann galt es, ein einminütiges Kurzinterview zu überstehen, das von Moderatorin Carmen Franke mit einer Vorstellung eingeleitet wurde. So erfuhren die staunenden Gäste, dass Nicole eine Violine spielende Reisekauffrau sei, die gern nach Griechenland reist und ihre Maße 84-58-84 betrügen. Nuria, deren Name nach eigenem Bekunden „so was wie Sonnenaufgang auf arabisch oder jüdisch oder so“ bedeutet, turnt gern am Trapez und hat im Übrigen 82-52-89, war zu erfahren. Die 17-jährige Jennifer, 84-62-92, kann vier Sprachen, will Stewardess werden und hatte das Preisschild unter den Schuhen kleben lassen. Denise, 25, beeindruckte das Publikum mit einem bedrohlich ausladenden Dekolleté und dem Hinweis, Cocktails seien ihr größtes Hobby. Schließlich kam Juliane, 86-68-99, Polizistin und Exsoldatin – „weil ich für mein Leben gerne schieße“ –, die als besonderes Talent die Fähigkeit zum Telefonieren beim Autofahren nannte, zur Freude des bierseligen Publikums, als Hobbys Reiten und ihre zwei Katzen (Zuruf: „Geil! Drei Muschis zuhause!“) aufzählte. Sie durften noch zwei-, dreimal paradieren, dann wurde der Ruf der Menge („Ausziehen! Ausziehen!“) erhört, und die elf möglichen Missen verschwanden, um sich in Bademode zu werfen.
Im grün-blauen Tankini kehrten sie einige Saalrunden später zurück, und das Spiel wiederholte sich. Das Publikum goutierte das entweder enthemmt-gröhlend mit „Mach-Dich-nackig“-Rufen oder fachlich-abschätzig mit ausgefeilten Potenzialanalysen: „Ganz annehmbar“, urteilte ein Herr im Anzug, „kommerziell kaum verwertbar“, entgegnete ein anderer, und ein dritter diagnostizierte kühl hier und da „Hautstrukturprobleme an den Oberschenkeln“. In der Tat zeigte sich, dass es nur ein Vorausscheid war: Von zu großen Schritten bis Trampeln, von Speckröllchen bis zu viel Push-Up, von unnatürlichem Dauerlächeln bis dem gefürchteten „Oh-Gott-sind-diese-Absätze-hoch“-Gang waren alle Anfängerfehler mehr oder minder häufig vertreten. Carmen Franke aber moderierte über solche Spitzfindigkeiten elegant hinweg, und den meisten Gästen waren diese Nickligkeiten ohnehin längst egal. Nachdem alle Sponsoren zum wiederholten Male aufgezählt waren und die Jury ihre Punktelisten abgegeben hatte, riss der DJ mit „Heidi“, „Biene Maja“ und dem „Holzmichl“ das Publikum von den Bänken, und eine Stunde später standen die Siegerinnen fest: Nicole Reimer wurde für ihre verhärtete Wadenmuskulatur mit dem ersten Platz, Schärpe und Krone, einem Ring, Champagner und zahllosen anderen Preisen entschädigt, die anwesenden Eltern wollten vor Stolz schier platzen, Carolin Ludwig (84-62-92) wurde Vize-Miss Schloss Diedersdorf, Platz drei ging an Merit Büttner. Damit hatten sich drei Berlinerinnen durchgesetzt. Die Siegerin darf nun zum Landesausscheid und könnte sich dort für das Bundesfinale qualifizieren.

Erschienen am 17.10.2008

Lautäußerungen, tierische

Freitag, 17. Oktober 2008

Der alte Zosse über Gemeinsamkeiten zwischen Unpaarhufern und Zweibeinern

Die Ausdrucksmöglichkeiten eines Pferdes sind naturgemäß begrenzt: Außer Freude (Hinlaufen), Angst (Weglaufen), Ablehnung (Schütteln) und Sympathie (Anstubsen) steht unsereinem nicht viel zur Verfügung. Dieses begrenzte Kommunikationsrepertoire lässt sich bestenfalls noch mit einem wohlplatzierten Pferdeapfel (pferdisch für „Hier lass ich mich gehen!“) krönen. Der Rest ist Schweigen. Dachte ich nun zunächst, diese kommunikative Beschränkung sei ein quasi bauart-bedingter Nachteil meines Pferdseins und fühlte mich damit den Menschen hoffnungslos unterlegen, so durfte ich am Mittwoch bei der Misswahl auf Schloss Diedersdorf lernen, dass auch die Herren Zweibeiner – insbesondere nach emsigem Gebrauch der Tränke – ähnlichen Einschränkungen unterworfen sind: Außer Zustimmung (erkennbares Speicheln, hervortretende Augen, „Boah“-Geräusche) und Ablehnung (demonstratives Wegdrehen, Buh-Geräusche“) war wenig differenzierte Meinungsäußerung zu hören. Nur die demonstrative Krönung, die wurde bis zu meinem Abritt unterlassen. Aber da war die Tränke auch noch lange nicht leer.

Erschienen am 17.10.2008

Kann ja mal passieren

Samstag, 11. Oktober 2008

Von Missen und Missverständnissen

Da haben wir nun, ach!, die Verwerfungen der CDU in Berlin und der CSU in Bayern studiert, haben uns über Eitelkeiten geärgert, uns an eiskalten Machtkämpfen erschreckt und am gegenseitigen Demontieren der Spitzenkandidaten geweidet, dabei lag das Gute doch so nah: Rangsdorfs CDU produzierte eine politische Provinzposse ersten Ranges, indem sie am Mittwoch den Rücktritt ihres Vorsitzenden bekannt gab, um den armen Mann am nächsten Tag widerrufen zu lassen: Er habe seinen Rücktritt wegen der Verluste bei der Kommunalwahl zwar angeboten, das Angebot aber nach zwei, drei Tagen zurückgenommen, weil es niemand annahm, erklärte der Vorsitzende. Eine personell-politische Rückrufaktion quasi, die besser keine Schule machen sollte. Der Bürger könnte sonst glatt vergessen, dass es häufig gar nicht die Spitzenleute der Parteien sind, die nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage über ihre Posten entscheiden, sondern die gefürchtete zweite Reihe, die nicht nur Berlins Fraktionschef und das bayrische Spitzenduo, sondern auch Kurt Beck aus Amt und Würden kegelte. Mit einem „unglücklichen Missverständnis“ versuchte die Rangsdorfer CDU gestern die Verwerfungen zu erklären. Ja, es wird grandios missverstanden in Deutschland; ob nun Politiker abgesäbelt werden oder der Finanzmarkt zusammenbricht: Oops, übersehen. Sorry. Missverständnis. Kann ja mal vorkommen.
Nur einem würde das nicht passieren: Alt-Playboy Rolf Eden. Der zählt zwar mittlerweile 80 Lenze, kommt aber jedes Jahr standhaft zum Vorausscheid der Miss-Germany-Wahl auf Schloss Diedersdorf – so auch am Mittwoch. Und schon vorab ließ er uns an seiner Altersweisheit teilhaben, als er die Welt wissen ließ, dass es bei Models nicht auf Ausstrahlung ankomme, sondern auf puren Sex-Appeal.
Danke, Rolf! Du bist wirklich weit vorgedrungen, hast tiefe Einblicke gewonnen. Stolz können wir nun sagen: Endlich, endlich haben wir die Miss verstanden!

Erschienen am 11.10.2008

Bilaterale Entspannung

Mittwoch, 8. Oktober 2008

Post: Ein Zusammentreffen natürlicher Feinde: Briefträger übten den Umgang mit Hunden

Das Verhältnis von Hunden und Postboten ist vielerorts zerrüttet. Man trägt sich gegenseitig Bisse und Revierverletzungen nach. Ein Seminar in Mahlow sollte Abhilfe schaffen

MAHLOW| Warum beißen Hunde bevorzugt Briefträger? An dieser Frage haben sich schon Generationen von Erkenntnistheoretikern erfolglos die Hirnzellen wund gemartert. Es existiert eine Hypothese, die besagt, wenn Stubenhunde, deren Alltags-Temperament der Rubrik „Sofarolle“ zuzuordnen ist, plötzlich gegen jede Gewohnheit nach dem Postillion schnappen, sei eine genetisch bedingte Abneigung gegen Uniformen im Spiel. Andere Kynologen wiederum vermuten, das überkommene Gerücht, der Briefträger nutze die Abwesenheit des Ehegatten, um Hausfrauen nicht nur mit schönen Päckchen zu beglücken, habe unter den Fiffis dieser Welt die Runde gemacht, und sie verteidigten Muttis Ehre an Vatis Statt.
Von solchen epistemologischen Feinheiten mussten sich die 25 Mitarbeiter des Zustellstückpunkts Mahlow gestern früh nicht irre machen lassen. Ihr Interesse war ein ganz handfestes – sie wollten weniger gebissen werden. Nicht, dass das noch an der Tagesordnung wäre: Nur 31 Mal schnappten Vierbeiner in Brandenburg 2007 nach dem Briefträger, ein deutlicher Rückgang zum Jahr davor, als sich noch 63 Mal die Zähne des Haushundes ins Fleisch eines Postboten gruben. „Hunde und Postboten verstehen sich immer besser“, titelte daher die Pressestelle der Post ganz verwegen, und Tiertrainer Jörg Ulbricht wusste auch anzugeben, warum: Weil der Briefträger aus Hundesicht langsam lernt, sich anständig zu benehmen.
Was das heißt, erklärte er den 25 aufmerksam zuhörenden Zustellern an diesem Morgen. Kardinalfehler Nummer eins sei noch immer der Brief- oder Paketwechsel über dem Hund, erinnerte Ulbricht, der in Freital bei Dresden eine Hundeschule betreibt und der für Post in Sachsen und Süd-Brandenburg Seminare gibt. Von fremden Füßen umstellt, fühle sich der Hund eingeengt, und alles, was über seinem Kopf geschehe, mache ihn zusätzlich nervös, so der Trainer. Bei aggressiven Tieren empfahl er Ruhe, auch wenn’s schwerfalle: Keine hektischen Bewegungen, kein Weglaufen. „Wenn sie trotzdem gebissen werden, war’s ohnehin nicht zu verhindern. Aber wenn sie fuchteln oder weglaufen, provozieren sie womöglich einen Biss, den sie sonst nicht bekommen hätten“, erklärte er. „Na toll“, kommentierte eine Zustellerin, „was für eine Auswahl.“ Wer Patentrezepte erwartet hatte, musste zwangsläufig enttäuscht sein. Doch die Tipps und Strategien des Hundetrainers können immerhin das Risiko senken. Wie das Briefing vor einem Geheimdiensteinsatz nahm sich Ulbrichts Gefahrenanalyse aus, zu deren Durchführung er ein typisches Grundstück an die Wand warf und besonders gefährliche Punkte, Aktionsradien, Vermeidungsstrategien und Fluchtweganalysen durchsprach.
Im Praxisteil auf dem Parkplatz des Zustellstützpunkts schärfte Ulbricht den Blick der Teilnehmer für typisches Hundeverhalten anhand eines Schäferhundes und eines Terriers: Die Postboten lernten, Hundeverhalten richtig zu deuten, Angst zu erkennen, Schwanzwedeln nicht misszuverstehen und Drohgesten einzuschätzen. Das beste Mittel, gestand der Trainer, sei immer noch, über Leckerli eine Beziehung zu schwierigen Tieren aufzubauen. Das ist bei der Post aber verboten.
Gut möglich also, dass letztlich doch ein Philosoph das Rätsel der besonderen Vorliebe von Hunden für Briefträger lösen muss, bevor die Post titeln kann: „Hunde und Postboten verstehen sich grundsätzlich blendend.“

Info-Box: Kleine Hundekunde
Um so biss-sicher zu werden wie ein Postbote, empfiehlt es sich, einige Grundregeln zu befolgen:
Hunde fühlen sich vom Eindringen in ihr Revier bedroht, von schnellen Bewegungen oder raschem Entfernen, das als Flucht gedeutet werden kann.
Je höher ein Hund in der Familienrangordnung ist, desto angriffslustiger ist er – er glaubt ja, das Rudel schützen zu müssen.
Angst zu zeigen ist wie eine Einladung zum Angriff, Schreien oder Weglaufen sind daher keine besonders gute Idee.
Auch Drohgebärden, Blickkontakt, Störungen beim Fressen, Weglaufen oder das Entwenden ihres Spielzeugs mögen aggressive Hunde gar nicht.
Der beste Rat ist grundsätzlich, stehenzubleiben und keine Angst zu zeigen, wenn ein Hund auf einen Menschen zukommt. Oft will er ihn einfach nur erschnuppern. Wenn schon Rückzug, dann langsam.

Erschienen am 08.10.2008

Medialer Massenauftrieb

Samstag, 13. September 2008

Schein und Sein in Zossens Presselandschaft

Vom sich selbst gern wahnsinnig wichtig nehmenden Potsdam aus betrachtet wirkte der Einzugsbereich der Zossener Rundschau wie eine medial befriedete Zone: Die MAZ als einzige lokale Zeitung, keine Radiosender, keine Fernsehanstalt – als gewöhnlicher Volontär erwartet man da keinen besonderen medialen Auftrieb. Bekanntlich kommt es aber erstens anders und zweitens als man denkt, und von dieser vielleicht universellsten aller Weisheiten war auch Zossen nicht bereit, eine Ausnahme zu machen: Da flimmerte plötzlich Zossens Marktplatz über den Fernsehschirm, und ein stellvertretender Bürgermeister versuchte, dem nicht eben sympathisch auftretenden NDR-Filmteam eine nicht existierende Rechtslage klarzumachen: Er behauptete, im öffentlichen Raum dürfe ohne Genehmigung nicht gefilmt werden, und er sagte das mehrfach in die Kamera, zur wachsenden Amüsiertheit des Filmteams, während sich der irritierte Fernsehzuschauer fragte, ob die mediale Befriedung der Stadt so weit geht, dass man sich mit dem Presserecht im Bürgermeisteramt gar nicht auskennt? Mit „glücklos“ ist der Auftritt jedenfalls noch vorsichtig umschrieben. Und das ist pressetechnisch noch nicht alles, was einem Neuen hier begegnet: Auch die „Zossener Stimme“, die dem Amtsblatt beiliegt, kommt recht professionell daher. Gut, es scheint sich eher um ein journalistisch anmutendes Werbeblatt der Bürgermeisterin zu handeln, aber das muss in Wahlkampfzeiten ja kein Nachteil sein. Logisch, dass die anderen Fraktionen da stänkern und die „Stimme“ weghaben wollen. Aber ein Medium muss Widerstand aushalten können, hieß es im Studium immer – eine Lektion, die offenbar auch der NDR kennt: Statt nämlich – wie von der Bürgermeisterin angekündigt – die „manipulierte Darstellung“ öffentlich richtig zu stellen, brachte das TV-Team diese Woche eine zwar arg überzogene, aber muntere Nachklappe zu den Zossener Verhältnissen, in denen die Stadt nun wirklich schlecht wegkam: Hinterwäldlerisch und provinziell waren noch die geringsten Vorwürfe.
Macht also zwei Lektionen. Erstens: In Zossen ist medial die Hölle los. Und zweitens: Das versprechen vier spannende Monate zu werden.

Erschienen am 13.09.2008


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