Archiv für die Kategorie „Kritik/Rezension“

Wider die Diktatur des Lächelns

Donnerstag, 18. September 2008

Kino: Brad Breiens Erstling „Die Kraft der negativen Gedanken“ ist eine Feelbad-Komödie mit Hintersinn

Negatives gehört nicht in die Runde. Negatives gehört in den Kotzbeutel – einen kleinen, gehäkelten Sack, dem jeder Teilnehmer seine Frustrationen anvertraut. So kommt sie so leidlich voran, die Gruppentherapie unter Leitung der Kommunal-Psychologin Tori (Kjersti Holmen). Tori hat das Dogma der positiven Psychologie so tief inhaliert, dass sie selbst dann ein freundliches Lächeln aufsetzt, wenn sie andere beleidigt. Sie arbeitet lösungsorientiert mit ihren Patienten, das heißt: negative, destruktive Gefühle werden vermieden.
Ihr Klientenquartett fügt sich brav: Die stets lächelnde Marte, die seit einem Unfall beim Klettern im Rollstuhl sitzt und ihr egomanischer, aber von Schuldgefühlen zerfressener Mann Gard – er hatte das Seil nicht richtig gesichert. Dazu Asbjörn, der einen Schlaganfall hatte und nun nicht mehr richtig sprechen kann sowie Lillemor, Mitte sechzig, furchtbar allein, depressiv, von Ängsten zerfressen.
Mit der oberflächlichen Harmonie ist es aus, als das dauerlächelnde Quartett nebst Sozialdompteuse Tori bei Geirr (Fridjov Saheim) und Ingvild (Kirsti Eline Torhaug) vor der Tür steht. Geirr sitzt nach einem Autounfall im Rollstuhl und kultiviert seither die Kunst des negativen Denkens: Er raucht Joints, verkriecht sich in sein Zimmer, schaut Kriegsfilme, und weist seine Ehefrau Ingvild so weit wie möglich von sich, denn die Lähmung hat ihm auch die Potenz genommen: „Ich stehe nicht auf Frauen, die mit einem Krüppel schlafen würden.“ Die verzweifelte, aufopferungsvolle Ehegattin will vor der Scheidung einen letzten Versuch wagen: Daher die kommunale Positivitätsgruppe.
Doch es kommt anders als geplant. Statt Geirr mit der positiven Geisteshaltung aufzurichten, infiziert der Patient die Gruppe mit seinen negativen Gedanken, und in nur wenigen Stunden brechen unterdrückte Wut, Scham und Schuldgefühle, Hoffnungslosigkeit und Anklagen auf. Erstes Opfer ist Tori, die nicht nur ein blaues Auge davonträgt, sondern bei ihrem trotzigen Auszug aus dem Haus auch die Pläne für eine neues Buch über ihre „Think-positive!“-Philosophie begraben muss. Ihr ehemaliges Feelgood-Kommando ist da längst ein selbst- und fremdzerstörerischer Haufen geworden. Derart entfesselt, dreht die Runde nun erst richtig auf, keiner wird geschont, es folgen ein „Wem-geht-es-am-schlechtesten-Wettbewerb“ und diverse fehlschlagende Suizidversuche, die in ihrer Hilflosigkeit ständig zwischen lächerlich und anrührend changieren.
Der Norweger Brad Breien rechnet in seinem ersten abendfüllenden Spielfilm grandios mit der so genannten political correctness ab und zeigt, dass man sehr wohl über Behinderte lachen kann, wenn denn Erkenntnis und Verständnis aus diesem Lachen erwachsen und sich der Nichtbehinderte im Behinderten wiedererkennt.
Das nur siebenköpfige Ensemble spielt hinreißend, arbeitet den Humor mit böser Lust heraus, ohne in Stereotypen zu verfallen und ist doch nah genug am Kern der Figuren, um die melancholische Seite dieses typisch nordischen Films herauszuarbeiten. Nach dem Besuch der schon jetzt preisgekrönten Komödie ist über positive Psychologie alles gesagt: Wie das Weglächeln Verarbeitung und Trauerarbeit verunmöglicht, wie es destruktive Gefühle einkapselt, deren Erleben zwar schmerzlich, aber reinigend ist, und wie lebendig sich solche Kräfte den Weg nach draußen bahnen. Wer dennoch wütend aus dem Kino geht und meint, so könne man an dieses Thema nicht herangehen, darf sich vermutlich gern des Kotzbeutels bedienen.

Erschienen am 18.09.2008

Vom Bürohengst zum Superhelden

Donnerstag, 4. September 2008

Timur Bekmambetovs „Wanted“

Er ist zu allem Übel auch noch geräuschempfindlich, der frustrierte Büroangestellte Wesley Gibson (James McAvoy). Wenn nachts die Züge direkt am Fenster seiner Absteige vorbeidonnern oder seine übergewichtige, schikanöse Chefin ihren zur Allzweckwaffe missbrauchten Tacker seinem Ohr nähert: Gibson zuckt ständig zusammen. Auch sonst führt er eine erbärmliche Existenz. Ängstlich schleicht er durch den Arbeitsalltag als verlachte Null im Großraumbüro. Dass sein vorgeblich bester Freund und Kollege währenddessen zuhause Gibsons Freundin beglückt, ist da nur das Sahnehäubchen der Demütigung.
Das ändert sich dramatisch, als beim nächsten Beruhigungsmittelkauf die geheimnisvolle Fox (Angelina Jolie) an der Kasse auf Gibson wartet und ihm in aller Kürze mitteilt, dass er der Sohn eines legendären Auftragsmörders sei. Prompt wird heftig geschossen, denn der Mörder des Vaters will nun auch dem Sohn ans Leder.
Es ist der Auftakt zu einer knapp zweistündigen Actionhatz, in der die Gesetze der Physik, die Logik des Drehbuchs und eine dichte Story nicht viel gelten: Dafür gibt es rasante Action auf der Straße, in Zügen und Schluchten. Dem Anschlag mit knapper Not entkommen, lernt Wesley, dass sein Vater Mitglied eines Geheimbundes war, der sich die „Waffen des Schicksals“ nennt. Aus einem mystischen Webstuhl erfährt diese Bruderschaft um den charismatischen Sloan (Morgen Freeman), wer als nächstes zu töten sei. Fragen werden nicht gestellt, das Urteil des Gewebes ist eine Schicksalsbotschaft. Hinnehmen muss das auch der Kinobesucher, denn Weiteres über den ominösen Webstuhl und die Hintergründe dieser ethisch höchst bedenklichen Clique lässt der Film im Dunkeln. Vor der Aufnahme in den Zirkel und der Rache am Mörder des Vaters muss sich Gibson ebenfalls zum Vollstrecker des Webstuhls ausbilden lassen, eine Tortur, die selbst im Kinosessel Schmerzen bereitet.
Im Grunde sind es längst bekannte Motive, die der in Kasachstan geborene Regisseur Timur Bekmambetov in seinem auf einer Comicvorlage basierenden ersten Hollywood-Film verarbeitet: Der ängstliche Normalo wird unter Druck zum Superhelden, vermeintliche Förderer entpuppen sich als korrumpierte Manipulateure und die Suche nach dem Vater enthält wesentlich mehr als nur einen Spritzer Ödipus.
Dass „Wanted“ dennoch 110 Minuten lang ganz gut unterhält, ist neben dem hohen Tempo, das kaum Zeit zum Nachdenken lässt, vor allem dem hervorragenden Schauspielerensemble zu verdanken: James McAvoy („Der letzte König von Schottland“) gelingt es gar, die vom Film kaum hinterfragte Wandlung vom Bürohänger zum Bruderschaftshelden überzeugend darzustellen, Morgan Freeman wirkt als charismatischer Bruderschaftsvorsteher fast schon unterfordert – und beeindruckt darum umso mehr. Das restliche Ensemble hat kaum Sprechakte und bleibt entsprechend unauffällig.
Lediglich Angelina Jolie beweist erneut, dass ihr die verführerische, arrogante Amazone immer noch am besten liegt: Ein spöttisches Zucken ihres Mundwinkels, und viele Schwächen des Films sind verziehen. Etwa das Ende, das nicht nur vorhersehbar, sondern in seiner gnadenlosen Überfrachtung mit Action und Gewalt nur noch ermüdend ist.

Erschienen am 04.09.2008

Reichlich, kräftig, frisch

Samstag, 23. August 2008

Letscho statt Limoncello-Jus, Bauernfrühstück statt Basilikum-Schaum: im Krug Gollin isst man bodenständig.

Um festzustellen, wie die Verkehrssituation auf der 15 Kilometer entfernten Autobahn A11 ist, genügt Corinna Kühnke ein Blick in den Gastraum. Ist er spärlich besetzt, fließt der Verkehr. Gibt es Stau, platzt der „Krug Gollin“ hingegen aus allen Nähten. „Wir kriechen dann auf dem Zahnfleisch“, sagt die Wirtin. Die A11 ist Segen und Fluch zugleich für den „Krug“. Einerseits schwemmt sie mögliche Gäste in die Uckermark und – wenn es mal wieder staut – auch in den „Krug“, andererseits lenkt sie die Verkehrsströme von Berlin Richtung Ostsee 15 entscheidende Kilometer östlich an Gollin vorbei. Das war nicht immer so: Als noch die B109 durch den Ort führte, füllte sie das Haus zuverlässig, besonders im Sommer.
Jene verkehrsgünstige Lage war auch der Grund, warum Corinna Kühnke sich vor neun Jahren entschloss, den „Krug“ im ansonsten verschlafenen Gollin zu übernehmen. Dass die Autobahn ihr soviele Gäste stiehlt, habe sie nicht kommen sehen, sagt sie. Kühnke ist im „Krug“ einige Jahre aufgewachsen. Ihre Eltern betrieben die Gaststätte von 1970 bis 1975, und die Tochter trat mit einer Kellnerlehre in deren Fußstapfen. Dann verbrachte sie 20 Jahre in einem anderen Beruf, doch der „Krug“ rief sie zurück. Als er 1999 zum Verkauf stand, zögerte die Mittvierzigerin nicht lange. Während des Komplettumbaus verkaufte sie ein Jahr lang Speisen aus dem Fenster heraus.
Die Version, dass der „Krug“ sie zurückgerufen habe, würde Kühnke als romantisierenden Unfug abtun. Sie pflegt einen eher spröden, direkten, bodenständig-uckermärkischen Charme. „Er stand halt zum Verkauf, ick hab mich an früher erinnert, meinen Mann gefragt und dann haben wir es halt gemacht“, sagt sie. Thema erledigt.
Es muss dennoch Herzblut darin stecken, denn die Arbeit ist nicht unerheblich: Corinna Kühnke plant, organisiert, kocht, bedient, füllt Getränke ein, macht Abrechnungen, liefert Bestellungen aus, putzt und räumt auf – unterstützt nur vom Mann, von der Schwiegermutter und, wenn es völlig überfüllt ist, von ein paar Aushilfskräften. Am Wochenende müssen die beiden Kinder mit anpacken, wenn sie sich denn blicken lassen.
Auch heute lebt der „Krug“ noch von den Reisenden – er zog schon um 1850 als Postkutscherstation zwischen Berlin und Prenzlau hungrige, durstige oder müde Reiter und Kutscher an. Heute sind es vor allem Ur-Berliner und Potsdamer, die lieber die schöne Landstraße unter uckermärkischen Bäumen fahren, statt die hektische, anonyme Autobahn. Aus Tradition und wegen der bodenständigen Küche kehren sie gern im „Krug“ ein. Die Karte ist übersichtlich, aber traditionell und regional gehalten: Das Wildangebot richtet sich täglich danach, was dem Jäger am Vorabend vor die Flinte lief, die Pilzauswahl nach der Saison und dem Finderglück der lokalen Anbieter, der Spargel kommt ausschließlich aus Beelitz und die Forellen und Zander aus den Seen der Schorfheide. Darüber hinaus gibt’s, was es immer gibt in ländlichen Lokalen: 1,2 Kilo Rieseneisbein, Sülze, Schnitzel mit Letscho, Rinderrouladen, Rinderleber, Bauernfrühstück, ungarisches Gulasch. Immer reichliche Portionen, immer kräftig gewürzt, immer frisch, zu höchst zivilen Preisen. 13Euro für das Rieseneisbein markieren die Obergrenze der Karte, die auch im Bereich Wein übersichtlich bleibt: zwei Rot- und zwei Weißweine, je einer süß und einer trocken – Punkt.
Corinna Kühnke weiß um den Charme dieses Angebots und erzählt stolz, dass häufiger Gäste aus den „feinen Hotels“ in ihren nicht eben lichten, mit dunklem Holz ausgekleideten Gastraum kommen, um mal ein handfestes Bauernfrühstück oder eine rustikale Roulande zu essen – „den feinen Kram bekommt ja niemand auf Dauer runter“, sagt sie. Viele genießen auch die entspannt-ländliche Atmosphäre. Für die Kinder hält der „Krug“ einen Miniatur-Streichelzoo vor: Hängebauchschweine, Meerschweinchen, Kaninchen, einen Fischteich. So können die Eltern in Ruhe essen, während der Nachwuchs über den riesigen Hof tobt. „Die Kinder“, sagt die Wirtin, „geben doch lieber einem Karnickel einen Nasenstüber, statt sich aus der Entfernung eine Giraffe anzuschauen.“ Das ist die Logik, die das Konzept des „Krugs“ ausmacht: Die meisten essen schließlich auch lieber im urigen Lokal an der Landstraße ein Schnitzel, statt im Stau auf der Autobahn Tankstellenessen aus der Mikrowelle zu verdrücken.

Info: Krug Gollin, Golliner Dorfstraße 36, 17268 Templin, Tel. (039882) 4 91 60

Fein-bürgerlich im Grafenschloss

Samstag, 9. August 2008

Mitten in der Uckermark, zwischen Seen und Wäldern, fühlten sich schon die Arnims Jahrhunderte lang wohl. Ihr einstiger Stammsitz, das Schloss Boitzenburg, steht heute jedermann offen.

Auf dem Portikus sitzt es sich gräflich. Das säulengetragene Dach schützt vor der Mittagssonne, der Blick schweift über den Park zum Schlossweiher, die Kellnerinnen eilen mit voll beladenen Tabletts treppauf, treppab zur weitere 80 Plätze umfassenden Terrasse. Helge Leopold klappt die riesige, ledergebundene Karte zu, lehnt sich in seinem Korbsessel zurück und sagt, beim „saftigen Wildspieß auf Rotwein-Orangensoße mit Bechamélkartoffeln und überbackenem Fenchel“ müsste er nicht mehr weiterlesen – da hätte er sein Wunschgericht gefunden.

Leopold muss es wissen. Gemeinsam mit der Küchenchefin und der Restaurantleiterin kostet der Gastronomie-Chef des Schlosses Boitzenburg – seine genaue Berufsbezeichnung lautet „Food-and-Beverages-Manager“ – jedes Gericht, bevor es auf der Karte erscheint. Das ist eine härtere Arbeit, als es scheint, sagt er lächelnd, denn mit Rücksicht auf die Figur müsse es beim Probieren bleiben. Schloss Boitzenburg ist die zentrale Attraktion des gleichnamigen kleinen Städtchens im Herzen der Uckermark. Die Arnims haben dort – mit kurzen Unterbrechungen – seit dem Mittelalter gewohnt, und da nahezu jeder Schlossherr so seine Aus- und Umbauten an dem Gebäude tätigte, ist ein abenteuerlicher, aber romantischer Mix sämtlicher Baustile der letzten 500 Jahre daraus entstanden. Nach umfangreicher Restaurierung dient das Schloss heute als Hotel, der einst gräfliche Marstall ist zur Schlossbäckerei, Schokoladenmanufaktur und Kaffeerösterei umfunktioniert worden.

Seit 2003 ist das Restaurant in Betrieb, dass sich „fein-bürgerliche Küche mit großbürgerlichen Portionen zu bürgerlichen Preisen“ auf die Karte geschrieben hat. Der Grundgedanke hinter allem lautet Regionalisierung. Es gibt landestypische Gerichte mit Zutaten aus uckermärkischen Wäldern und Seen zu Preisen, die auch in einer strukturschwachen Region bezahlbar sind: Fischsuppe mit Frischkäsepfannkuchen kostet 4,50 Euro, Matjes an jungen Kartoffeln 9,50 Euro und Kräuterschnitzel an Sommerspargel 12,90 Euro. Küchenchefin Regina Rosin hat aber auch Ambitionierteres in petto: Gebratenes Rumpsteak auf Holler-Sternanissoße an Rotweincharlotten und Steckrübenpürree, Kaninchenkeule in Lavendel-Senfsoße oder Scholle auf Cassis-Sahnecremé bekommt der Gast eben nicht an jeder Ecke, auch wenn die zubereiteten Speisen manchmal nicht ganz so inspiriert schmecken, wie sie sich lesen. Das Rumpsteak etwa, immerhin Höhepunkt und teuerstes Gericht der Karte, erweist sich eher als gut durch- denn als medium gebraten, und die Holler-Sternanissoße lässt Ausgewogenheit vermissen, die auch die draufgekleckste Holundermarmelade nicht ausgleichen kann.

Kaffeerösterei und Schokoladenmanufaktur im Marstall sind nicht nur eine zusätzliche Touristenattraktion – den fleißigen Damen kann dank großzügiger Glasscheiben beim Confiserie-Handwerk und der Kaffeeröstung zugesehen werden. Von ihnen profitiert auch das Restaurant: Der Pralinen-Eisteller zum Nachtisch mit handgeschöpften Pralinen im Karamellkörbchen hat dem Schlossrestaurant bereits einigen Ruhm eingebracht, und die selbstgerösteten Kaffeesorten zeichnen sich durch kaum noch wahrzunehmende Restsäure aus. Raritäten wie wilder äthiopischer Waldkaffee sorgen dafür, dass auch experimentierfreudige Kaffeefreunde sich nicht langweilen, die Schlossmischung aus mildem Hochlandkaffee aus Guatemala und Brasil Santos ist höchst magenfreundlich und wer gern fülligen Geschmack in der Tasse hat, greift zum Costa Rica Tarrazu.

Um soviel gutes Essen zu verdauen, empfiehlt sich im Anschluss ein Spaziergang durch den Schlosspark oder der kurze Aufstieg zum Pavillon auf dem Hügel gegenüber, von dem aus sich ein imposanter Blick auf das Schloss eröffnet. Kinder können derweil den Streichelzoo besuchen oder über die weitläufige Anlage toben.

Info: Schlosshotel Boitzenburg, Templiner Straße 13, Tel. 039889/ 50930 , www.schloss-boitzenburg.de

Erschienen am 09.08.2008

Sie wäre besser begraben geblieben

Samstag, 9. August 2008

Film: „Die Mumie – Das Grabmal des Drachenkaisers“

POTSDAM Sie erwecken mal wieder eine Mumie, und natürlich wieder aus Versehen. Eigentlich hatten sich Rick O’Connell (Brendan Fraser) und seine Frau Evelyn (Maria Bello) längst aus dem Grabräuber-Geschäft ins Rentnerdasein zurückgezogen: Er versucht sich – gewohnt tölpelhaft – im Angeln, sie liest vor hingerissenen Frauenkreisen aus „Mumie“ 1 und 2 vor. Soviel Ruheständlerromantik ist dann doch zuviel des Guten, begeistert nehmen die O’Connells den Auftrag an, ein Artefakt nach China zu überführen, und die Dinge ihren üblichen Lauf – Mumienerweckung, actionreiche Hatz um den Globus, Weltrettung.
Es sind die selben Zutaten wie schon in den ersten beiden Teilen, die selben Figuren, die selben Darsteller – lediglich Rachel Weisz wollte die Evelyn kein drittes Mal spielen – und es ist das selbe Rezept wie schon in den Filmen von 1999 und 2001. Nur dass es diesmal eine chinesische Mumie ist, die des Drachenkaisers Qin, der vor 2000 Jahren die chinesische Mauer errichten ließ und sich mit seiner 10 000 Mann starken Terrakotta-Armee begraben ließ.
Dass das Gericht diesmal dennoch partout nicht schmecken will, liegt daran, dass nicht alles ehemals Lebendige wiederholt ausgegraben werden sollte. Diese Lektion lernen die Protagonisten der „Mumie“ jedes Mal aufs neue, und sie gilt auch für Filme. Können die O’Connells für ihr Tun zumindest Unabsichtlichkeit geltend machen, standen den Produzenten der „Mumie“ offenbar die Dollarzeichen in den Augen: Die ersten beiden Teile spielten 850 Millionen ein.
Also taten sie, was sie immer tun, wenn eine etablierte Marke bis aufs Letzte gemolken werden soll: Sie drehten alles noch ein Stückchen weiter. Brendan Fraser gibt sich noch tolpatschiger und grimassiert auf Jim-Carey-Niveau; sein listiger Bruder Jonathan (John Hannah) mimt den weinerlichen, hysterischen Meckerer noch penetranter, aber dafür ohne Charme, und Jet Li strebt als wütend wiedererweckter Drachenkaiser nach nichts weniger als ewigem Leben und unbegrenzter Macht. Das gab es irgendwie alles schon, nur besser. Man sehnt sich unversehens nach der beklemmden Düsternis des untoten Pharos Imhotep in den ersten beiden Teilen, gespielt von Arnold Vosloo.
Es ist der Fluch der Fortsetzung: Noch mehr Slapstick, brennende Hintern, explodierende Straßenbahnen, Pferde ohne Kopf. Es gibt wieder einen verrückten Piloten, einen völlig aufgesetzten Familienkonflikt und ein überzuckertes Ende. Im Bestreben, nur ja keine Langeweile aufkommen zu lassen, wurde immer noch einer draufgesetzt, noch mehr in den Film gequetscht. Nebensächlichkeiten wie eine schlüssige Story oder gar Atmosphäre bleiben da unter einem Haufen von nicht zündenden Effekte und vorhersehbaren, lahmen Gags begraben.
Technisch lässt sich der „Mumie“ nichts vorwerfen: Atemberaubende Landschaften, die neuesten digitalen Effekte, schnelle Schnitte, die packende Musik sind auf der Höhe der Zeit – lediglich der Yeti, der auch nicht fehlen durfte, ist etwas sehr künstlich geraten. Nur: Effekte allein tragen keinen Film.
Man wünscht den O’Connells am Ende doch sehr, dass sie es mit ihrem Ruhestand diesmal ernst meinen und ihr Sohn Alex (Luke Ford) nicht in die elterlichen Fußstapfen tritt, damit dem Kinogänger eine weitere seelenlose Fortsetzung dieser Art erspart bleibt. Oscar-Preisträgerin Rachel Weisz hatte offenbar den richtigen Riecher, als sie das lukrative Angebot ausschlug.

Erschienen am 09.08.2008

Schluss mit lustig

Samstag, 19. Juli 2008

Musik: Deutschlands vulgärste Boygroup Knorkator hört auf

BERLIN 2006 hieß es noch, „Wir werden auf die Kacke hauen, bis man uns das per Gesetz verbietet oder unsere zerfetzten Körper es nicht mehr zulassen.“ Nach Erschlaffung sah es aber zum Auftakt der Knorkator-Abschiedstournee am Donnerstag im Berliner Monbijoupark gar nicht aus: Frontmann „Stumpen“ wirkte wendig und vulgär wie eh und je und eröffnete gut gelaunt mit „Es kotzt mich an“ das zweistündige Konzert, in dessen Verlauf kein Knorkator-Klassiker wie „Ding in die Schnauze“, „Ich hasse Musik“, „Ick wer zun Schwein“ und einige weitere mit nicht zitierfähigen Titeln und Texten folgten.
Die Atmosphäre war trotz mehrerer hundert Gäste im hölzernen Amphitheater familiär. Knorkator, die sich selbst die „etwas andere Boygroup“ nennen, sind eine Band des Entspanntseins: Ohne Konzept, ohne Schuhe, ohne politische Korrektheit. Etwa die Hälfte der Lieder wurde nicht zu Ende gespielt, weil irgendwer daneben griff, „Stumpen“ aus dem Rhythmus kam oder den Text vergessen hatte.
Das passierte ihm besonders gern bei „Westliedern mit englischem Text“ wie seiner Persiflage auf „Highway to Hell“, das er im Falsett als Ballade anlegte. Die Fans lieben Knorkator nicht nur für hintergründige Komik: Sie kommen vor allem, um den Anarcho-Charme der „weltweit meisten Band Deutschlands“ zu genießen.Knorkator machen alles, was anstößt: Sie beschimpfen das Publikum, sie nehmen nichts ernst – sich selbst zum Glück auch nicht –, sie beleidigen jeden, zelebrieren den Ekel und alles Fäkale, lassen an nichts ein gutes Haar. Sie sind wie Riesenbabys, die sich weigern, erwachsen zu werden, aber das mit soviel Charme und Selbstironie und – ja, doch – auch Intelligenz, dass es schon wieder fast reif wirkt. Lange galt die Band aus Berlin als subversiver Geheimtipp. Dann kam der Grand-Prix-Vorentscheid im Jahr 2000, und Deutschland reagierte auf die Provokationen der Spaßrocker, die im ARD-Abendprogramm in Plüschkostümen Möbel zersägten, wie es sollte: beleidigt. Einen größeren Gefallen hätte man der Band kaum tun können. „Soviel Spaß hatten wir selten“, sagte Stumpen.
Nun, nach elf Jahren, ist erstmal Schluss mit lustig. „Es hat einfach Gründe“, ist alles, was von Stumpen an diesem Abend zu den Gründen zu hören ist. Mehr war von einer Band, die nichts ernst nimmt, nicht zu erwarten.

Erschienen am 19.07.2008

Pilchereske Ausmaße

Sonntag, 10. Juni 2007

Zwölf Minuten. So lange dauert es, bis der Zuschauer weiß, wohin die Reise geht. In dem Moment, wo sich Jenny, scheinbar im Übermut, auf dem Rasen an die Brust des väterlichen Freundes Lothar wirft und ihr Dekolleté noch einen Moment nachwogt, ist klar, was kommen wird.
Doch der Reihe nach: Lothar (Udo Wachtveitl), Fotograf für Whirlpoolprospekte, und Flugkapitän Milan (Miroslav Nemec), sind Freunde seit immer, aber nur die Copiloten ihres Lebens. Milan hat den Tod seiner Frau nicht verwunden und widersteht jedem Verkupplungsversuch durch offensiven Einsatz des Familienfotoalbums.
Lothar hingegen sieht sich eher als Künstler und befindet sich zudem im ehelich verordneten Zeugungsstress: Gattin Amelie hat sich für die späte Mutterschaft entschieden und einen strammen Fahrplan errichtet, der an den fruchtbaren Tagen dem immer gleichen Ritual aus Marvin Gayes „Sexual Healing“ und untergeschobenem Kissen folgt. Die Konflikte brechen durch, als Milans Tochter Jenny vom Studium zurückkehrt und eine Romanze mit Lothar beginnt. Das führt in Beziehungs- und Gefühlswirren pilcheresken Ausmaßes, die nur treue Zuschauer des großen ZDF-Sonntagsfilms nicht mehr schrecken kann.
Die Charaktere wirken, als seien sie aus dem Kulissenfundus einer Inga-Lindström-Verfilmung direkt auf die Startbahn der Copiloten geschoben: etwa der makellose Brian, Brite mit obligatem Akzent, der den hochwertigen Pullover stets adrett über die Schultern gelegt trägt oder die hyperkritische Journalistin, die nur darauf wartet, den späten Fotokünstler Lothar in Grund und Boden zu schreiben. Da ist es folgerichtig, dass auch Friederike Kempter die Rolle der Jenny mit einer jedes Klischee erfüllenden Jugendlichkeit gibt, Ältere-Herren-Erotik inklusive.
Was bleibt, sind Fledermaus-Füttern im Sonnenuntergang und beziehungsrelevante Gespräche an der Isar. Dass der Film dennoch keine 90-minütige Bruchlandung bietet, liegt allein am „Tatort“-Duo Nemec und Wachtveitl, die dank ihrer Präsenz dafür sorgen, dass er zumindest eine gewisse Höhe gewinnt.

Gegen die seichte Story kommen sie aber nicht an, und spätestens das ebenso vorhersehbare wie überzuckerte Happy-End dieses telegenen Flachseglers macht ihre Mühen zunichte. Warum sie sich in diese Tiefen schwingen mussten und was den Kultursender Arte bewog, dabei zu kooperieren, bleiben offene Fragen an diesem Fernsehabend.

(Veröffentlicht am 10. Juli 2007)

Terroristen beim Therapeuten

Donnerstag, 5. April 2007

RAF-Täter und ihr Leben „danach“

Man muss sich den Psychoanalytiker als harten Hund vorstellen. Als einen, der es gewohnt ist, die tiefsten Tiefen menschlicher Abgründe weitgehend stumm zu ertragen; der standhält, wenn der andere seine schlimmsten Traumata in der Beziehung zum Analytiker wiederholt. Deshalb bekommt die Zahl besonderes Gewicht: Acht! Acht gestandene Therapeuten haben sie verschlissen, die 15 Mitglieder der RAF und des „2. Juni“, die sich über Jahre mit Psychologen zu Gesprächen trafen. Die Gruppe entstand 1996 nach einem Vortrag über die Traumatisierung politischer Gefangener in Chile. Ohne Absprache fanden sich 15 ehemalige RAF-Terroristen im Publikum, viele frisch aus der Haft entlassen. Sie suchten das Gespräch, weil sie Parallelen sahen zwischen dem Bericht und ihrer Haftzeit. Der Redner, selbst Psychologe, war entsetzt: Wie konnten sich Terroristen, die in einem Rechtsstaat verurteilt und inhaftiert waren, mit Folteropfern in Chile gleichsetzen? Er lehnte ab, doch andere Kollegen ließen sich ein.
Zehn Psychologen waren es, die an Deformation schon einiges gesehen hatten. Einiges, aber nicht diese Gruppe, die zwar um Hilfe ersuchte, aber schon das Wort Therapie nicht ertrug. Nur zwei sind geblieben. Sie haben ein Buch herausgegeben, das reflektiert – ihre Sicht und die der Gruppenmitglieder Karl-Heinz Dellwo, Knut Folkerts, Roland Mayer und Ella Rollnik. Leicht ist auch den Therapeuten das Bleiben nicht gefallen. „Nie zuvor habe ich soviel Entwertung und so wenig empathisches Mitschwingen erlebt“, schreibt Angelika Holderberg. Sie fürchtete oft, „verloren zu gehen im Strudel von Spaltung und Verleugnung, der zu Paranoia, Selbstzerstörung und Flucht in Allmachts-fantasien führte“. Und Volker Friedrich ergänzt: „Viele der Therapeuten sind gegangen, weil sie die Leere der Beziehungen in der Gruppe nicht ertragen konnten.“ Auch große Teile der Gruppe verließen die Sitzungen bald. Weil sie nicht bereit waren, sich ihrer Vergangenheit zu stellen, weil sie sich in gegenseitigen Vorwürfen verstrickten und weil sie es nicht ertrugen, dass die sie vermeintlich tragende RAF längst zerbrochen war. „Es glich einem Tigerkäfig. Das Kollektiv war kommunikationsunfähig. Die unbesprochenen Widersprüche aus 20 Jahren waren explodiert und lagen als Trümmer zwischen uns“, schreibt Knut Folkerts.
Als das Buch verfasst wurde, war die Debatte um Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar nicht absehbar. Dennoch liest es sich wie ein Kommentar dazu. Gefangenschaft, Sonderhaftbedingungen und Isolation machen eine Selbstdistanzierung – die notwendige Voraussetzung für Reflektion und Reue – unmöglich. Der Glaube an die Sache, an die Gemeinschaft im Terror und das eitle, ja narzisstische sich für etwas Besseres halten waren in Stammheim, Celle und Bruchsal schlechterdings überlebensnotwendig.
Trotz einiger Erfolge in dieser seltsamen Gruppe: Bis zur Frage der Reue ist niemand vorgedrungen. Zu einer kritischere Sicht auf sich selbst und die RAF hingegen schon. „Wir waren das lebende Dementi dessen, wofür wir zu kämpfen behaupteten: Identität, Souveränität, Authentizität“, schreibt Roland Mayer. Bis zu solcher Erkenntnis vergingen sieben Jahre zähen Ringens mit sich und den anderen. Ein Therapeut, der nach drei Jahren ging, schreibt, es sei schwer gefallen, „die alte, ungeschmälerte Wut, die unerschütterliche Selbstgerechtigkeit“ zu ertragen. Bis zuletzt habe er auf ein Zeichen der Übernahme persönlicher Schuld oder Reue gewartet. Es kam nicht. „Der eigene Mythos fuhr mit allen davon“. Stattdessen dominierten Wut, das Gefühl, verraten worden zu sein, Opferrolle und Selbstmitleid. Man muss sich den Terroristen als schwer deformierte Persönlichkeit vorstellen.

Angelika Holderberg (Hrsg.): Nach dem bewaffneten Kampf. Psychosozial-Verlag, Gießen 2007. 224 Seiten, 19,90 Euro

Erschienen am 05.04.2007


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