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Warner vor einem beschlossenen Krieg

Samstag, 25. Juli 2009

Alan Chochiev floh aus Ossetien, als der Feldzug begann

Den Kontakt zur Familie und zu Gleichgesinnten hält der Historiker und Oppositionelle heute nur noch per Mail.

Sie kamen bei Nacht: Zwei maskierte Männer, schwer bewaffnet, stürmten Alan Chochievs Haus in Nordossetien. Der damals 62-Jährige hatte Glück, er war nicht zu Hause – dafür seine Mutter und zwei Enkel. Nachdem die Männer Chochiev nicht fanden und die Wohnung hinreichend verwüstet hatten, bedrohten sie seinen 13-jährigen Enkel mit der Pistole: „Wo ist Dein Großvater?“
Er kann noch heute nicht ruhig darüber sprechen. Chochievs ganze Gestalt, die sonst eher an einen Bären erinnert – gedrungen, massig, aber stets wachsam, die grauen Haare militärisch kurz geschoren – diese Gestalt, die sonst nahezu reglos auf dem viel zu kleinen Stuhl thront, gerät in Bewegung, wenn er sich an jene Szenen erinnert. Auch wenn er sie nur erzählt bekam. Er fuchtelt dann mit den Händen, der Stuhl unter seinem Körper ächzt bedrohlich, und seine Stimme wird laut. Die Nachbarn im Potsdamer Asylbewerberheim irritiert das zuweilen.
Chochiev war damals vorsichtig genug, selbst seiner Mutter nicht zu verraten, wohin er gegangen war. Der promovierte Historiker galt schon lange als persona non grata in seinem Heimatland Südossetien. Spätestens, seit er anlässlich einer Ordensverleihung in einem Zeitungsinterview sagte, Russlands Präsident Putin und der ossetische Premier Eduard Kokoity lassen es zum Krieg kommen. Die Botschaft war nicht neu: Immer wieder hatte Chochiev, der als Kulturanthropologe und ehemaliger Vorsitzender des südossetischen Parlaments einigen Ruhm und Einblick genoss, vor dem Krieg gewarnt, der „längst beschlossen war, um die Republik aus Georgien zu lösen und heim nach Russland zu holen“. Für solche Äußerungen war er nicht gut gelitten, und das Interview war eines zuviel: Die Journalistin, die es führte, verlor ihren Job, und nur die rechtzeitigen Warnungen wohlmeinender Nachbarn verhinderten, dass Chochiev inhaftiert und in ein russisches Gefängnis deportiert wurde. Er versteckte sich, kehrte aber einige Monate später zurück. Ein Fehler: Zuhause empfing ihn die Polizei mit einem Haftbefehl. Mit Hilfe eines Anwalts zog Chochiev noch einmal den Kopf aus der Schlinge. „Doch nun war mir klar: Wenn ich bleibe, gibt es zwei Möglichkeiten. Sie töten mich, oder sie sperren mich sehr lange ein.“
Als der Krieg im Spätsommer 2008 wirklich kam, ging er. Auf abenteuerlichen Pfaden floh Chochiev über Bratislava und Wien, wo er sich trotz der Flucht den Jugendtraum erfüllte, einmal in die Wiener Oper zu gehen. Er gelangte nach Potsdam. Deutschland war von vornherein sein Wunschziel, weil er wissenschaftliche Kontakte zur Heidelberger Universität hat. Doch die Mühen waren damit nicht zu Ende, sie änderten sich nur. Statt Ruhe zu finden und publizieren zu können, geriet er in den Umzugswirbel des Potsdamer Asylheims aus einer ruhigen, abseitigen Lage ins quirlige Plattenbauquartier. Aus dem Ärger darüber floh er in die Arbeit – ein druckfrisches Buch über Protosprachen und Religion auf seinem Nachttisch legt davon Zeugnis ab. Und er analysiert weiter die Zustände in Ossetien und den Krieg – unter anderem für die Moskauer Nowaja Gaseta, für die auch die ermordeten Journalistinnen Anna Politkowskaja und Natalja Estemirowa arbeiteten.
Den Kontakt zur Heimat hält Alan Chochiev über einen Laptop, den ihm ein Freund vor der Flucht schenkte – „das größte Geschenk meines Lebens“, wie er sagt. Pünktlich um 18 Uhr zieht seine Schwester in Nordossetien jeden Tag einen Schemel vor ihren Laptop, auf dem dann Chochievs 87-jährige Mutter Platz nimmt. Sie reden über das Wetter, die Politik und das Leben im „Ghetto Asylheim“, denn treffen können sie sich nicht: Mütterchen ist nicht mehr reisefähig, und Chochiev darf als Asylbewerber Potsdam nicht verlassen. Das schmerzt ihn am meisten, denn auch die so wichtige Teilnahme an Konferenzen ist dem Wissenschaftler damit versagt. Er kompensiert es, so gut es eben geht, über das Internet: liest russische Zeitungen, bloggt, videofoniert. Neben mehr Demokratie in Russland sind Reisefreiheit und etwas mehr Ruhe im Heim seine größten Wünsche.

Erschienen am 25.07.2009

Mustergültig in Musterhausen

Dienstag, 12. Mai 2009

Online: Linken-Fraktionschef Scharfenberg wird Opfer der Tücken des Internet-Wahlkampfes

Die Seite heißt „Scharfenberg für Potsdam“, doch für ein paar Tage drehte sich dort alles um Muster- hausen – offenbar eine Stadt mit ähnlichen Problemen.

Der Wahlkampf hat seine eigenen Gesetze. Journalisten können auf zunehmende Dünnhäutigkeit bei Politikern gegenüber Kritik und Pressefotografen auf großen Andrang vor der Linse bei Scheckübergaben und Kita-Grundsteinen bauen. Etwas später als die Allgemeinheit haben auch Landtagskandidaten den Charme des Internets entdeckt und stellen auf eigenen Webseiten, mit Facebook-Einträgen, Online-Videos, Blogs und SMS-Beschuss die Bits und Bytes in den Dienst des Wahlkampfs.
Mancher schießt dabei übers Ziel hinaus und biedert sich in einem Maße an, dass sich die junge Zielgruppe angewidert wegdreht; andere belassen es bei lustlosen Anmeldungen auf vermeintlich coolen Seiten, stellen ein Passfoto drauf und drei Passagen aus dem Wahlprogramm und behaupten auf Presseterminen, sie seien jetzt „online voll dabei“ – wohl hoffend, dass die Damen und Herren von den Medien von den Begriffen FaceBook, YouTube und Twitter so verwirrt sind, dass sie nicht nachschauen.
Doch der Online-Wahlkampf hat seine Tücken. Das musste Linken-Stadtfraktionschef Hans-Jürgen Scharfenberg erfahren, der sich erneut um einen Landtags-Sitz bewirbt. Er ließ hastig eigene Seiten freischalten, als der Potsdamer SPD-Landtagskandidat Mike Schubert (SPD) jüngst mit seiner „M-Community“ online ging. Doch Scharfenbergs Seiten gehörten offenbar zu einem Mustersatz, den die Linke allen ihren Kandidaten zur Verfügung stellt. Daran ist nichts auszusetzen, schließlich sorgt es dafür, dass alle Seiten der Partei ähnlich aussehen und sich das Wahlvolk schnell zurechtfindet. Dumm nur, dass Scharfenbergs Mitarbeiter vergessen hatten, außer dem Namen ihres Kandidaten weitere Parameter zu ändern. Ein Wochenende lang ließ sich daher lesen, dass Scharfenberg vom „Linke-Verband Musterhausen“ für „ein weltoffenes Musterhausen“ eintritt. Schließlich nehme „Musterhausen als Stadt der Wissenschaft“ die Bürgerrechte ernst und trete daher für Zuwanderung ein. Auch, dass in Musterhausen 3000 Menschen arbeitslos sind und 5000 Menschen als arm gelten, lernte der interessierte Surfer – und erfuhr so nebenbei einiges über politisches Phrasendreschen, denn offenbar sind das Sätze, die fast überall gelten.
Wer den Kandidaten darauf ansprechen möchte, hat spätestens am 1.Dezember – ein paar Wochen nach der Wahl – dazu Gelegenheit: Dann weilt Scharfenberg nämlich laut Internet ab 23 Uhr im Hotel Mustermann zum 2.Musterhausener Parteitag.
Nach drei Tagen waren die Standard-Seiten verschwunden. Die Adresse verweist nun auf die – ganz klassische – Seite der Linksfraktion im Landtag. Und im Hintergrund wird in aller Ruhe an einer mustergültigen Version gefeilt, die dann sicher auch direkten Potsdam-Bezug hat.

Erschienen am 12.05.2009

Geschmacksprobe für ein Förderinstrument

Dienstag, 17. März 2009

Europa: EU-Kommissar kostete die süßen Auswirkungen seines Sozialfonds

Vladimír Špidla entscheidet für gewöhnlich an seinem Brüsseler Schreibtisch. Die Auswirkungen können durchaus lecker sein, lernte er gestern.

POTSDAM | „Ach“, sagte der Herr Kommissar, „da wird die ganze abstrakte Arbeit doch mal sinnlich“. Sprach’s und ließ sich eine Praline mit Cassis-Likör auf der Zunge zergehen. „Bei uns in Böhmen“, fügte Vladimír Špidla genießerisch hinzu, „sind ja alle Pralinen mit Alkohol.“ Das trifft auf die kleinen Meisterwerke von Tanja Hofmann und Franziska Tölcke in der Kurfürstenstraße zwar nicht immer zu, aber der EU-Kommisar für Beschäftigung, Chancengleichheit und soziale Angelegenheiten fühlte sich in der kleinen Manufaktur nebst Café dennoch sichtlich wohl. Ganz unaufgeregt, mit nur kleiner Entourage, wehte der hohe Herr aus Brüssel hinein, fast auf Zehenspitzen, um sich vor Ort ein Bild von den Segnungen des Europäischen Sozialfonds zu machen. Mit Hilfe dieser Förderung nämlich gründeten Hofmann und Tölcke vor etwas mehr als einem Jahr ihr „Lekker Snoepjes“ im Holländischen Viertel – das heißt soviel wie „leckeres Naschwerk“. Dass Vladimír Špidla die Segnungen seiner Programme mal erschmecken darf, ist selbst für den Kommissar nicht selbstverständlich, und auch die Handarbeit gehört nicht unbedingt zum täglichen Brot des promovierten Historikers und ehemaligen tschechischen Staatspräsidenten. Doch beim Versuch, selbst eine Praline in weiße Schokolade zu tauchen, schlug er sich ganz wacker, auch wenn Špidla geradezu rührend um die Hygienevorschriften besorgt war und sich erst umständlich in Gummihandschuhe zwängte, obgleich ihm alle zuriefen, er möge doch nur beherzt zugreifen.
Der Kommissar weilte für eine Asien-Europa-Konferenz in Potsdam und nutzte die Gelegenheit, sich von den Segnungen der EU-Programme vor Ort zu überzeugen. Über die Gründungswerkstatt „Enterprise“ waren Tanja Hofmann und Franziska Tölcke bei ihrem Gang in die Selbstständigkeit beraten worden. Die Werkstatt erhielt dazu Gelder aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) und vom Land Brandenburg. „Ich kann diese kostenlose Beratung nur empfehlen“, schwärmte Tanja Hofmann, die sich „vom ersten Tag an gut betreut“ fühlte.
Špidla fühlte sich seinerseits im „Snoepjes“ so gut betreut, dass er gegen den Terminplan noch einen Espresso trank und Pralinen mit nach Brüssel nahm. Geschenkt wollte er sie nicht, er zahlte brav selbst. Und natürlich nahm er welche mit Alkohol. Wie zuhause üblich.

Infobox: Gründungsförderung in Brandenburg
Mehr als 6,7 Millionen Euro stellt das Brandenburger Arbeitsministerium aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) und Landesmitteln im Jahr 2009 bereit. Die EU gibt jeweils 75 Prozent der Fördersumme, das Land die restlichen 25 Prozent.
Die Gründungswerkstätten für junge Menschen bis 28Jahre, aus denen auch „Lekker Snoepjes“ hervorgingen, brachten seit 2003 rund 660 Brandenburger in die Selbstständigkeit.
In Potsdam betreute die Werkstatt „Enterprise“ zwischen März 2007 und Februar 2009 17 Gründerinnen und 14 Gründer, so Pressesprecherin Cornelia Grasme.
Seit 2003 sind in Brandenburg 230 Unternehmen durch diese Maßnahmen an den Start gegangen, davon 40Prozent von Frauen geführte Start-Ups.
Die Werkstätten helfen vor allem durch Betreuung, Beratung und Begleitung auf dem Weg in die Selbstständigkeit. Sie gewähren keine finanzielle Unterstützung, helfen aber beim Beantragen von Fördermitteln und Krediten.
Viele Gründer profitieren auch nach der Förderung noch von den Jungunternehmer-Netzwerken, die sie in dieser Zeit bilden.

Erschienen am 17.03.2009

Der feine Unterschied

Montag, 2. Februar 2009

Namensstreit: Beirat diskutierte die Nuancen der Begriffe Ausländer, Immigrant, Zuwanderer und Migrant

Es bedarf keines Soziologie-Studiums, um zu wissen, dass Name und Identitätsgefühl zusammenhängen. Doch um zu erleben, wie tief eine Bezeichnung ins Selbstgefühl eines Menschen eingreifen kann – und wie unterschiedlich dabei die Wahrnehmungen sind – bot sich die jüngste Sitzung des Ausländerbeirats an. Ganz unscheinbar und nicht auf der Tagesordnung vermerkt, versteckte sich nach dem Punkt „Sonstiges“ dort die Umbenennung, eingebracht von der Ausschuss-Vorsitzenden Hala Kindelberger – eine Deutsche ägyptischer Herkunft. Sie eröffnete ihren Punkt kämpferisch: „Ausländer sagt man nicht mehr“, erklärte sie in einem Tonfall, der keinen Widerspruch zu dulden schien. Durch die NPD sei der Begriff gänzlich ins Abwertende verschoben worden. Drei Vorschläge gäbe es deshalb: Integrationsbeirat, Migrationsbeirat und Migrantenbeirat stünden zur Debatte, doch eigentlich liege der Fall klar: Integration sei viel umfassender, betreffe neben Ausländern auch Behinderte, Senioren, Delinquente und psychisch Kranke und falle daher weg, so Kindelberger, die als Soziologin zur Migration forscht, lehrt und darin promoviert. Migrationsbeirat sei auch unpassend, da man ja kein Beirat für die Durchführung von Migration sei, sondern einer für die Belange von Migranten – daher könne doch eigentlich nur Migrantenbeirat genommen werden, war Hala Kindelberger überzeugt.
Dem widersprach nun Olga Schummel, Deutsche weißrussischer Herkunft und Philologin, die betonte, Migration bedeute schlicht Wanderung, und Migranten seien auch Menschen, die von Bayern nach Potsdam zögen, so, dass es entweder Zuwanderer- oder Immigrationsbeirat heißen müsste. Als dann auch noch das Namensungetüm „Beirat für Migration und Integration“ auf der Vorschlagsliste auftauchte, fragten zwei beratende deutsche Ausschussmitglieder, was denn am Begriff „Ausländer“ eigentlich so verkehrt sei, sie empfänden sich im Ausland ja auch als Ausländer. Hier zeigte sich nun die Gespaltenheit: Hala Kindelberger betonte, mit diesem eindeutig negativen Begriff nicht mehr leben zu können, deshalb schlage sie ja die Umbenennung vor. Julia Böselt-Krupkina (hat die russische Staatsangehörigkeit) und Thi Minh Lien Ngo (vietnamesische Staatsangehörigkeit) stimmten ihr unter Vorbehalten zu, während Evgueni Kutikov (Deutscher, weißrussischer Herkunft) und zwei Gäste (ein Türke, ein Afrikaner) bekannten, sie empfänden sich als Ausländer und den Begriff neutral. Die Debatte uferte ins Leidenschaftliche aus, ohne aggressiv zu werden, und die deutschen Ausschussmitglieder und beratenden Teilnehmer nahmen sich respektvoll zurück. Alle spürten: Hier geht es um innerste Identitätsfragen, um das brüchige Zugehörigkeitsgefühl zwischen verlassenem Vaterland und neuer Heimat. Am Ende war es dann ganz knapp: Mit nur einer Stimme Mehrheit siegte der „Migrantenbeirat“ vor dem überkommenen „Ausländerbeirat“.
Wichtiger als das, war aber die Lehrstunde in Sachen Identitätsgefühl in Potsdam lebender Ausländer, das keine Fragebogenaktion oder Podiumsdiskussion so lebendig vermittelt hätte. Das spürte auch Hala Kindelberger. „Wir haben heute sehr viel von uns preisgegeben“, sagte sie zum Abschied.

Erschienen am 02.02.2009

Wollestraße: Parkplätze oder Bäume

Donnerstag, 29. Januar 2009

Sanierung: Anwohnerwünsche gehen in Babelsberg weit auseinander

Wenn wir nicht übers Pflaster streiten, streiten wir über die Einbahnstraße: Im Stadtkontor ist dieser Tage Nervenstärke gefragt.

POTSDAM-BABELSBERG| „Manchmal“, sagte einer der Anwohner beim Hinausgehen, „manchmal wäre eine Diktatur doch ganz praktisch.“ Es waren fast zwei Stunden vergangen, als sich der mit 60 Anwohnern hoffnungslos überfüllte Raum leerte. Das Stadtkontor hatte seine Pläne zur Sanierung der Wollestraße vorgestellt, die vermutlich im Frühjahr 2010 beginnt.
Dass die Sanierung dringend nötig ist, dürfte dabei der einzige Konsens an diesem Abend gewesen sein: Das alte Pflaster ist vielfach kaputt, der Lärm und die Schäden an den Häusern sind immens, die fehlende Regenentwässerung lässt zuweilen Keller volllaufen und die das Straßenbild prägenden Rotdorn-Bäume sind laut Grünflächenamt und Naturschutzbehörde zum überwiegenden Teil dank rücksichtslosen Parkens dem Tode geweiht.
Weil er die häufig auseinanderklaffenden Wünsche der Anlieger im Sanierungsgebiet bereits gewohnt ist, hatte Dietrich Wiemer vom Stadtkontor diesmal gleich zwei Varianten projektieren lassen und erhoffte sich von der Anwohnerversammlung ein erstes Meinungsbild, das durch eine Umfrage unter allen Anwohnern demnächst geschärft werden soll. Die erste Variante sieht vor, den Straßenquerschnitt bei 6,10 Metern zu belassen, die kranken Rotdornbäume zu ersetzen und das Parken künftig auf eine Straßenseite einzuschränken. Dabei fielen zum Schutze der Bäume aber 64 bis 72 Parkplätze weg. Version zwei sieht eine Verbreiterung der Straße auf 8,10 Meter vor, zu deren Ungunsten die Gehwege auf 1,30 Meter Breite gestutzt würden und der traditionelle Rotdorn dem nicht so mächtige Kronen bildenden Weißdorn weichen müsste. Im Gegenzug könnte auf beiden Straßenseiten geparkt werden, es fielen kaum Stellplätze weg. Gemeinsam ist beiden Varianten der Austausch der Trink- und Schmutzwasser, Gas- und Elektroleitungen sowie der Einbau der bislang fehlenden Regenentwässerung in die Straße. Außerdem soll laut Verkehrsbehörde in jedem Fall die Einbahnstraßenregelung aufgehoben werden, um Umweg-Verkehre zu vermeiden.
Der Plan, den Anwohnern die Meinungsfindung durch Alternativen zu erleichtern, darf nach der munteren Debatte im Anschluss dennoch als grandios gescheitert gelten: Statt über die Auswahl zwischen historischem Baumbestand oder Parkplätzen entzündeten sich nicht nur Debatten um die beliebte, leidige Frage „Asphalt oder Pflaster“, die das Stadtkontor trotz Hinweises auf einen nach den Streitigkeiten der letzten Jahre von den Stadtverordneten gefassten Grundsatzbeschluss für das alte Pflaster nicht unterbinden konnte: Man diskutierte auch und vor allem darüber, ob man die Einbahnstraßenregelung nicht beibehalten könne. Warum das nötig sei, konnte zwar niemand schlüssig begründen – sieht man einmal vom Argument ab, dass das schon immer so gewesen sei –, aber das minderte die Leidenschaft des Streits nicht. Kurios dabei war, dass viele Anwohner bekannten, sich ohnehin nicht an die Regelung zu halten, denn die Wollestraße sei nun einmal lang sonst oft ein Umweg nötig. Wäre es nach dem Meinungsbild im Saal gegangen, es müsste wohl eine breite Einbahnstraße mit doppelt Parkplätzen, zum Teil mit Pflaster, zum Teil mit Asphalt, unter Beibehaltung des Rotdorns und breiten Gehwegen sein. Das ist aber nicht nur technisch, sondern rechtlich unmöglich.
Dem Stadtkontor stehen turbulente Zeiten ins Haus.

Infobox: Pflasterstreit
Die Straßensanierung in Babelsberg leidet seit Ende 2007 an verschiedenen Meinungen zur Frage: Pflaster oder n Asphalt?
In der Jahnstraße setzten Anwohner das Pflaster durch.
Die Meinungen in der Neuen Straße und der Wollestraße sind geteilt – ein Großteil der Bürger ist für Asphalt.
Ein zwischenzeitlich gefasster Grundsatzbeschluss der Stadtverordneten erzwingt im Sanierungsgebiet aber den Erhalt des Pflasters.

Erschienen am 29.01.2009

Fröstelnde Fische aus Fernost

Mittwoch, 31. Dezember 2008

Silvester: Der Marmorkarpfen ist lecker, wird aber verschmäht

Sie kamen zu DDR-Zeiten als Gastarbeiter, wurden hier aber nie richtig warm. Nun neigt sich der Auslandseinsatz der Marmorkarpfen dem Ende zu.

KALLINCHEN| Nach den Weihnachtsfeiertagen gelten selbst dauerhungrige Zeitgenossen als ausgefüttert. Ein 62 Kilogramm schwerer und 1,52 Meter langer Marmorkarpfen dürfte daher auch größere Gesellschaften als Silvester- oder Neujahrsmahl überfordern. Fischer Peter Sombert hingegen kann sich nicht aussuchen, was er in seinen Netzen findet. Zum Jahreswechsel wird Karpfen traditionell nachgefragt, und er könne ja keine Schilder an die Netze hängen, die den gewünschten heimischen Spiegelkarpfen das Hängenbleiben nahelegt, während er den „Gästen“ aus Asien, den meist größeren Marmor- und Silberkrapfen empfehle, einen Umweg im Motzener See zu schwimmen, sagt Sombert trocken. Und überhaupt, was heißt hier Gäste: In den 1970er Jahren ließ die DDR die Asiaten in großen Stückzahlen in die Seen setzen, um die Gewässer sauber zu halten. Da die Tiere genügsam sind und ausschließlich Plankton fressen, galten sie als wirtschaftlich sinnvoll. Doch ein wenig mehr Fischkunde vorher hätte helfen können: Die Gastarbeiter aus der Mongolei und China frieren in deutschen Gewässern: In jedem kalten Winter reduzierte sich die Population merklich– von ursprünglich 12000 Marmorkarpfen im Motzener See sind es derzeit vielleicht noch 2000, schätzt Sombert. Und: Weil die Gäste wärmeres Wasser gewöhnt sind, kommt in den kalten märkischen Seen keine Fortpflanzungslust auf, so dass der Bestand sich auch nicht erholen kann. Immerhin taugen die im Sommer sprungfreudigen Karpfen als Touristenattraktion. „Wenn neben ihrem Boot so ein Kaventsmann einen delphintauglichen Salto vollführt, staunen sie Bauklötzer“, sagt Peter Sombert.
Prinzipiell müsste der Fischer in Kallinchen den marmornen Beifang im Netz nicht ignorieren: Die Filets sind lecker, und auch in der Fischsuppe macht sich der Marmorkarpfen ausgesprochen gut. Doch Sombert wird deren Fleisch nicht los, der Brandenburger will seinen Spiegelkarpfen, und alte Gewohnheiten sind eben schwer zu ändern. Außerdem überfordert die schiere Größe selbst experimentierfreudige Fischesser: Wer nimmt schon 20 Kilogramm Karpfen mit nach Hause…
So werden die Marmorkarpfen wohl ein vorübergehendes Phänomen bleiben, und das große Zappeln im Netz wird immer seltener werden. Gut 30 Jahre sind die Fische jetzt alt, ihre durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 40 bis 50 Jahren. Zumindest in warmen asiatischen Seen.
Peter Sombert verkauft indes weiterhin zirka einjährige einheimische Spiegelkarpfen, die in der Helter seiner Fischerei, quasi einem umzäunten Becken, dem Schicksal in Topf und Pfanne entgegenschwimmen. Rund 300 Stück hat er über die Feiertage an Kunden aus der Region und aus Berlin verkauft. Mit ihrem Gewicht von zwei Kilogramm sind sie auch nach den fetten Tagen noch zu bewältigen.

Erschienen am 31.12.2008

Entsetzen in Chor und Kirche

Dienstag, 23. Dezember 2008

Neonazi: Rainer Link war im Berliner Oratorienchor bislang unauffällig / Illegale Straßenüberwachung

ZOSSEN | Die Geschichte um den Zossener Neonazi Rainer Link, die Stolpersteine vor seinem „Medienkombinat“ in der Berliner Straße und die Folgen nimmt kein Ende. Zwar hat der Holocaustleugner Link den umstrittenen Bierkasten nebst Aufsteller, den er gern auf die Erinnerungssteine stellte, mittlerweile durch einen lieblos geschmückten Weihnachtsbaum ersetzt, doch steht auch der gern mal auf statt neben den Mahntafeln. Zudem überwacht Link sein Geschäft und die Straße davor mit einer Kamera, deren Live-Bilder sich jederzeit im Internet abrufen lassen – inklusive aller Aufzeichnungen seit dem Tag der Einrichtung. Rainer Link überwacht damit öffentliches Straßenland, was laut Gesetz nur der Polizei erlaubt ist. Weil er auf diese Weise das Recht auf die sogenannte „informationelle Selbstbestimmung“ jedes Passanten und jedes Autofahrers in der Berliner Straße verletzt, die im Aufnahmebereich der Kamera vorbeikommen, und weil dank des online gestellten Bildarchivs sogar Bewegungsprofile möglich sind, kann dagegen jeder bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft Anzeige erstatten.

„Das ist hochgradig illegal“, sagte Lena Schraut, Pressesprecherin der Landesdatenschutzbeauftragten in Brandenburg. Sie könne nicht verstehen, warum die Zossener das bislang hinnähmen und sich dieser Überwachung aussetzten, berichtete Schraut der MAZ. Die Enthüllungen über diverse Mitgliedschaften Links in neonazistischen und holocaustleugnenden Vereinigungen haben nicht nur in Zossen für Entsetzen und Irritationen gesorgt, wo sich zum Beispiel in der Kirchengemeinde und der Jungen Gemeinde viele von ihm abwandten, die Link bislang schätzten. Auch im Berliner Oratorienchor, dem der Zossener angehört – er singt die Bassstimme –, sorgte die Nachricht für Entsetzen. Ein Mitglied des geschäftsführenden Vorstands sagte der MAZ, man habe sich zwar noch keine abschließende Meinung gebildet, sei aber „entsetzt“ über die „sehr, sehr unerfreuliche“ Nachricht. Wegen der Weihnachtspause habe der Chor die „schreckliche Neuigkeit“ noch nicht diskutieren können. Chorleiter und Maestro Thomas Hennig sagte der MAZ, er stehe noch unter Schock und erwarte eine heftige Diskussion im Vorstand und im Chor. Die Überzeugungen und Aktivitäten von Rainer Link seien ihm bisher nicht bekannt gewesen. „Für solche Bodenlosigkeiten darf es kein Verständnis geben“, so der renommierte Chorleiter, der sich bislang gar nicht vorstellen kann, wie der für 2009 geplante Mendelssohn-Schwerpunkt unter diesen Umständen eingeprobt werden soll. Auch wenn alle Chor-Spitzen betonten, dass eine Entscheidung erst in gemeinsamer Diskussion nach der Weihnachtspause getroffen werden kann, ließ niemand einen Zweifel daran, dass die Zusammenarbeit mit Rainer Link künftig nicht mehr vorstellbar sei.

Live-Überwachung aus dem Internetcafé unter www.meinungsfreiheit.org/zossen

Erschienen am 23.12.2008

Mehr zum Thema (chronologisch):

Neonazi enttarnt sich

Freitag, 28. November 2008

Eklat: Weil er sich nicht unter Kontrolle hat, wissen die Zossener nun, dass ein Holocaust-Leugner in ihrer Mitte lebt

ZOSSEN |  Seit drei Jahren lebte Rainer Link in Zossen (Teltow-Fläming) ein unauffälliges Leben. Er sanierte ein Haus in der Haupteinkaufsstraße und eröffnete dort sein „Medienkombin@t“, eine Mischung aus Internetcafé, Callshop, Kulturraum und „Gay-Bar“ (Schwulenkneipe).
Seine Maske fiel, als vergangene Woche rund 30 Einwohner sich daran machten, einen Beschluss der Stadtverordneten umzusetzen: Sie wollten sogenannte „Stolpersteine“, kleine Erinnerungstafeln an jüdische Einwohner, die von den Nazis deportiert wurden, in den Asphalt vor seinem Laden einbringen. Die Fläche ist „öffentlicher Straßenraum“. Doch Rainer Link wollte sich damit nicht abfinden. Hochroten Kopfes stürmte er aus dem Laden, stieß Umstehende aus dem Weg, schrie und entriss einem städtischen Angestellten die Kamera, wobei er ihn verletzte. Wie ein wildes Tier gebärdete sich der Mann, rief die Polizei, die ihm freilich nicht helfen mochte, und drohte, die Steine noch am selben Abend herauszureißen sowie die Verlegung per Gerichtsbeschluss verbieten lassen zu wollen.
Bei dieser Drohung ist es geblieben: Die Steine liegen noch im Pflaster, auch das Amtsgericht Zossen verzeichnete bislang keinen Einspruch, nur mit einem täglich neu über die Gedenktäfelchen platzierten Bierkasten, an dem ein Aufsteller lehnt, provoziert der Unternehmer die Stadt, die sich bislang nicht in der Lage sieht, ihr Recht durchzusetzen.
Doch der öffentliche Ausbruch warf Fragen auf, die schnell eine Antwort fanden: Nach MAZ-Recherchen ist Rainer Link ein mehrfach angeklagter Holocaust-Leugner aus dem Umfeld des berüchtigten Anwalts Horst Mahler. Link, der aus Berlin nach Zossen zog, weil seine zweifelhafte Prominenz es ihm nahezu unmöglich machte, noch eine Wohnung zu bekommen, war zeitweise Schatzmeister des inzwischen verbotenen „Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten“, dem neben Mahler auch weitere prominente Holocaust-Leugner wie Ernst Zündel, Robert Faurisson und Anneliese Remer angehörten. Fotos im Internet zeigen ihn mit anderen Neonazis beim „Aufstand der Wahrheit“ auf der Wartburg im Sommer 2003, wo Plakate wie „Den Holocaust gab es nicht“ in die Kamera gehalten werden. Auf die MAZ-Veröffentlichung hin schrieb Rainer Link einen Brief an Zossens Bürgermeisterin und beklagte sich über das geschäftsschädigende Gebaren der Stadt und darüber, „hinterrücks besteinigt“ worden zu sein. Er forderte die Entfernung der „Schuldkultsteine“. Eine öffentliche Reaktion der Stadt steht bislang aus.
Link ist neben Gerd Walther bereits der zweite prominente Neonazi in Zossen. Ins nähere Umland sind einige NPD-Leute aus der Hauptstadt gezogen, darunter auch Berlins NPD-Chef Jörg Hähnel. In und um Zossen mehren sich nun Stimmen, die einen Imageschaden für die Wachstumsregion befürchten.

Erschienen am 28.11.2008

Mehr zum Thema (chronologisch):

Ein Neonazi wird weinerlich

Mittwoch, 26. November 2008

Eklat: Zossener Stolpersteingegner ist gerichtsbekannter Holocaust-Leugner / Offener Brief an die Stadt

Was mag den Mann nur bewogen haben, gegen die Stolpersteine zu wüten? Das fragten sich viele Zossener am Donnerstag. Die Antwort ist so simpel wie erschreckend: Er ist ein bekannter Holocaust-Leugner.

ZOSSEN|  Natürlich ist es kein Versehen, dass der leere Bierkasten, der vor dem Zossener „Medienkombin@t“ auf dem Boden steht, die zwei Stolpersteine verdeckt. Es ist pure Absicht, eine Provokation. Rainer Link, der Inhaber dieses Internetcafés, hat sich für die kleine Lösung entschieden: Die Stolpersteine, die vor seinem Geschäft daran erinnern sollen, dass dort, in der Berliner Straße 11, einst Juden wohnten, wollte er zunächst „rausreißen“ und außerdem gerichtlich dagegen vorgehen. Das Rausreißen hat er sich dann wohl nicht getraut, und zumindest bis gestern lag auch am Amtsgericht noch keine Beschwerde des Gewerbetreibenden vor, der anlässlich der Verlegung der Steine am Donnerstag die Kontrolle verlor, Bürger beschimpfte und einem städtischen Mitarbeiter die Kamera entriss, wobei er ihn verletzte (MAZ berichtete). Dafür aber wurde inzwischen zur Gewissheit, was noch am Donnerstag nur vermutet werden konnte: Rainer Link ist ein bekennender Rechtsradikaler, der bereits mehrfach von Gerichten zu Geldstrafen verurteilt wurde, weil er aktiv die so genannte „Holocaust-Lüge“ vertritt, also öffentlich und vehement behauptet, es habe den Mord an sechs Millionen Juden durch die Nationalsozialisten nie gegeben.
Link bewegt sich dabei im Dunstkreis des sehr prominent als Holocaust-Leugner hervortretenden Anwalts Horst Mahler und war zeitweise Schatzmeister des mittlerweile verbotenen „Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocausts Verfolgten“, einem Zusammenschluss, dem neben Mahler so bekannte Holocaust-Leugner wie Ernst Zündel, Robert Faurisson und Anneliese Remer angehörten. Dass nun einem Fanatiker wie Rainer Link, der seit Jahren durch die Lande zieht, um zu behaupten, den Holocaust habe es nie gegeben, ausgerechnet zwei Gedenksteine für ermordete Juden vor die Ladentür gelegt werden, muss als Ironie des Schicksals gelten.
In Zossen wusste jedenfalls bis zum letzten Donnerstag niemand etwas von den Überzeugungen des Neubürgers, der vor drei Jahren aus Berlin in die Stadt zog, unter anderem, weil ihm in der Hauptstadt niemand mehr eine Wohnung vermieten wollte, wie Rechtsextremismus-Experte Maurice Reisinger berichtet, der seit Jahren die Gruppe der Holocaust-Leugner beobachtet und zu diesem Thema forscht. In Zossen erwarb Link das Geschäft in der Berliner Straße 11 in Unkenntnis dessen, dass dies früher ein jüdisches Wohnhaus war, und richtete im Untergeschoss sein Internetcafé ein. „Wenn ich gewusst hätte, dass in dem Haus jemals Juden gewohnt haben, hätte ich das Objekt nie gekauft“, klagt Link in einem offenen Brief an Zossens Bürgermeisterin Michaela Schreiber. Darin beschwert er sich nachdrücklich darüber, „hinterrücks besteinigt“ worden zu sein und über den „barschen Tonfall“ am Tag der Verlegung. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, war es doch Rainer Link selbst, der einen städtischen Angestellten verprügeln wollte und mehrere Umstehende schubste und anschrie. Dann schimpft er über den „Meinungsterrorismus“ beim Thema Juden, den „volksverhetzenden Artikel“ in der MAZ und klagt, er müsse nun um sein Geschäft und sogar sein Leben fürchten, ja er habe sogar Polizeischutz beantragt. Bislang sind allerdings nur unfreundlich dreinblickende junge Männer in Bomberjacken zu sehen, die hinter dem Schaufenster demonstrativ auf die Straße starren – unter anderem zum abgedeckten Stolperstein.
Aus seinen Überzeugungen macht Rainer Link in dem Brief keinen Hehl mehr, er erzählt von seinen Gerichtsverfahren wegen Volksverhetzung, klagt über „Gedenkknechtschaft“ und „Zwangsandenkenoktroy“, nennt die Stolpersteine „Schuldkultsteine“ und verlegt sich darüber hinaus auf eine Mischung aus Drohen („Ich werde Sie für alles haftbar machen“, „Ich investiere keinen Euro mehr“) und Weinerlichkeit („Zossen ist für mich zu einem Alptraum geworden“, „Ich schlafe in meinen Gewerberäumen, um präsent zu sein, sollte die verhetzte Meute meinen Laden überfallen“).
Die Kraft, zu provozieren ist Rainer Link aber erhalten geblieben. Schon seit Montag bedeckt der Bierkasten die Stolpersteine, daran hat der Unternehmer einen Aufsteller gelehnt. Zossens Ordnungsamtsleiter Hartwig Ahlgrimm versprach, noch am selben Tag Mitarbeiter vorbeizusenden, doch konnten sich diese entweder nicht durchsetzen, oder die Sturheit des Rainer Link war stärker: Am Abend bedeckte die Bierkiste die Steine nach wie vor. Auch am gestrigen Dienstag waren die Steine während der Öffnungszeiten des „Medienkombin@ts“ nicht zu besichtigen. Die Idee, den Kasten zur Seite zu schieben, dürfte den meisten Passanten angesichts der grimmig schauenden Herren hinter der Scheibe schnell vergangen sein. Bürgermeisterin Michaela Schreiber versprach gegenüber der MAZ aber, man werde sich schnell darum kümmern.
Das sollte durchaus im Interesse der Stadt sein. Neben Gerd Walther, einem anderen Mitstreiter Horst Mahlers, wohnt nun ein weiterer, bundesweit bekannter Holocaust-Leugner in der Stadt, und die Schlagzeilen verbreiten sich schnell. Bedenkt man, dass mit dem Berliner NPD-Vorsitzenden Jörg Hähnel in Kummersdorf-Alexanderdorf und dem NPD-Granden Matthias Ridderskamp in Blankenfelde bereits vier Neonazi-Größen den Weg aus Berlin in den Altkreis Zossen gefunden haben, sind Sorgen um den Ruf der gesamten Region angebracht.

Erschienen am 26.11.2008

Mehr zum Thema (chronologisch):

Rangelei wegen eines Gedenksteins

Freitag, 21. November 2008

Eklat: Zossener Ladeninhaber verlor die Kontrolle, weil vor seinem Geschäft ermordeter Juden gedacht wird

Was als Zeremonie zur Erinnerung an jüdisches Leben in Zossen geplant war, wurde von einem brüllenden, prügelnden Internet-Café-Betreiber überschattet.

ZOSSEN| Es begann ganz harmlos: 15 Leute hatten sich gegen Mittag vor dem Rathaus versammelt, um unter der Leitung von Kurt Liebau Orte jüdischen Lebens in Zossen aufzusuchen. Es regnete, es stürmte, es war kalt, aber es war eben auch „ein wichtiger Tag für Zossen“, wie Liebau betonte. Ehrenamtlich verfolgt der studierte Indienwissenschaftler seit Jahren die Spuren jüdischer Bewohner der Stadt und ihrer Ortsteile. Für den Nachmittag war die Verlegung der ersten sechs Stolpersteine geplant. Unter diesem Namen setzt der Kölner Künstler Gunter Demnig seit 15 Jahren an den ehemaligen Wohnstätten von Juden, die von den Nationalsozialisten vertrieben, ermordet oder in den Tod getrieben wurden, Steine ins Pflaster. Sie sind zehn mal zehn Zentimeter groß und tragen auf einer Messingplatte Namen und Lebensdaten der Opfer. Rund 17000 Steine in mehr als 350 Städten und Gemeinden hat Demnig bisher verlegt.
Die ersten vier dieser Steine zum „darüber Stolpern“ kamen gestern vor dem Buchladen auf dem Marktplatz, Hausnummer 16, in die Erde. Dort lebte seit 1924 die vierköpfige Familie Falk in der oberen Etage. Sie wurde in Auschwitz ausgelöscht. Zwei weitere Steine sollten danach vor dem Haus Berliner Straße 11 eingelassen werden, wo Martha und Lesser Weinberg ein Textilgeschäft unterhielten. Sie wurden nach Theresienstadt deportiert. Doch schon auf dem Marktplatz machte das Gerücht die Runde, der dortige Ladenbesitzer wolle die Steine verhindern. Einer kurzen Beratung von Organisatoren, Stadtverwaltung und Polizei zufolge musste man sich keine Sorgen machen: Der Weg befindet sich im öffentlichen Straßenraum, und die Steinlegung ist durch Beschluss der Stadtverordnetenversammlung eindeutig legitimiert.
Die inzwischen auf rund 20 Personen gewachsene Gruppe wanderte also guten Mutes in die Berliner Straße, aber dort eskalierte es: Aus dem Internetcafé „Medienkombin@t“ stürmte ein Mann, der sich als „Eigentümer Herr Link“ vorstellte und das Setzen des Steines verbot. Auf die freundliche Mitteilung hin, dass er das nicht könne, weil es sich um städtischen Raum handle, rief er die Polizei – die war ohnehin schon im Anmarsch. Als dann die Spaten angesetzt wurden, stürmte der Ladeninhaber brüllend heraus, stieß wahllos umstehende Zuschauer um und verwickelte einen Mitarbeiter der Stadt in eine Rangelei. Der blutete am Ende. Die Polizei versuchte sich in Deeskalation und riet dem Ladenbesitzer, gegen den Beschluss der Stadt vorm Amtsgericht zu klagen. Die Chancen auf Erfolg dürften verschwindend gering sein. Indes wurden die Steine ins Pflaster gelassen. Seine Drohung, sie „wieder rauszureißen“, sollte der Geschäftsmann besser nicht wahr machen: Ihm drohen ohnehin schon Anzeigen wegen versuchter Körperverletzung. Gegenüber der MAZ und der „gesamten Scheißpresse“ wollte er sich zu den Gründen für seinen Unmut nicht äußern. Lediglich, dass die Steine „geschäftsschädigend“ seien, brüllte er mehrfach mit hochrotem Kopf.

Erschienen am 21.11.2008

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